Bis vor kurzem wurde Boris Palmer noch für alle möglichen Posten bei den Grünen gehandelt. Aber dann tauchte der Tübinger OB wieder in die Kommunalpolitik ab. Doch viele sind sicher: Der kommt wieder.
Was macht eigentlich Boris Palmer? Bis vor ein paar Monaten funkte er noch auf allen Kanälen. Bei Stuttgart 21 war der Tübinger Oberbürgermeister Wortführer der Bahnhofsgegner. Als Grün-Rot die Landtagswahl gewann, sahen ihn viele schon als Minister. Als sich die Stuttgarter OB-Wahl näherte, warteten viele auf seine Kandidatur. Und jetzt? Kümmert sich Palmer in Tübingen um den Kita-Ausbau, wirbt für den Ökostrom-Tarif der Stadtwerke und nimmt sich Zeit für seine Familie. Hat der Hoffnungsträger der Grünen seine Karrierepläne hintangestellt? Immerhin kommt er am kommenden Montag, 28. mai, ins sogenannte Schwabenalter: Er wird 40 Jahre alt und – wie man hier sagt – gescheit. Doch der studierte Mathematiker Palmer weiß schon länger: Die Zeit läuft für ihn.
Winfried Kretschmann ist vor wenigen Tagen 64 geworden. Zwar setzen die Grünen im Land fest darauf, dass ihr Ministerpräsident auch 2016 noch einmal antritt. Doch wenn bei den Grünen nachgedacht wird, wer Kretschmann einmal beerben könnte, fällt schnell der Name Palmer. Als der Sohn des legendären „Remstalrebellen“ Helmut Palmer noch Verkehrsexperte der Grünen-Landtagsfraktion war er für Kretschmann „das beste Pferd im Stall“. Vor kurzem hat der Regierungschef erzählt, dass er sich eigentlich schon vor Jahren aus der ersten Reihe zurückziehen und Palmer als Nachfolger im Fraktionsvorsitz vorschlagen wollte – doch dann wurde sein Schützling OB in Tübingen.
Und das will er auch noch mindestens bis zum Ende seiner ersten Amtszeit bleiben. „Ich habe für mich die Entscheidung getroffen, dass ich gerne Oberbürgermeister in Tübingen bin“, sagt Palmer. In seiner Universitätsstadt hat er schon jetzt Spuren hinterlassen. An seiner Klima-Kampagne „Tübingen macht blau“ beteiligen sich tausende Bürger und viele Einzelhändler. Ob er Ende 2014 nochmal als Schultes antritt, will er noch nicht sagen. Wird ihm die schwäbische Provinz doch zu klein? Der OB ist ein rhetorisches Talent und kann locker mit Bundesgrößen mithalten. In Talkshows ist er ein gern gesehener Gast.
Der Tübinger Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling meint, dass Palmer irgendwann Kretschmanns Erbe antreten wird. „Ich glaube, Boris Palmer kann noch warten.“ In der baden-württembergischen Landespolitik laufe ohnehin alles auf ihn hinaus. Wenn Kretschmann nach der nächsten Landtagswahl Ministerpräsident bleiben sollte, dann würde er wohl im Laufe der Amtszeit aus Altersgründen zurücktreten – und Palmer könnte sein Nachfolger werden. Doch bei den Grünen hat der forsche OB nicht nur Anhänger. Der Realo sei kein „Teamspieler“ und seine Alleingänge sind bei den eher Linken unter den Grünen berüchtigt, heißt es.
Er selbst weiß, dass ihm in der Partei zuweilen „Arroganz“ vorgehalten wird. Als er beim Landesparteitag in Aalen Anfang Oktober seine Thesen zu Stuttgart 21 vortragen sollte, wies ihm die Regie den Platz Sonntagmorgen um 8.30 Uhr zu – kaum jemand war im Saal. Manchen in der Partei ist seine Strahlkraft zu viel des Guten. Landesparteichef Chris Kühn formuliert es so: „Boris Palmer polarisiert in einem positiven Sinn, manchmal aber auch in einem negativen.“ So sei die Attacke des Schwarz-Grün-Befürworters auf Parteichefin Claudia Roth wegen ihres Bekenntnisses für Rot-Grün nach der NRW-Wahl bei vielen an der Basis schlecht angekommen.
Obwohl Palmer sich als Mitglied im Parteirat auch im Bund einmischt und bestens vernetzt ist, wird ihn seine Karriere wohl erstmal nicht nach Berlin führen. Da er seine Amtszeit als OB beenden will, schließt er eine Kandidatur für den Bundestag 2013 aus. Wehling rechnet fest damit, dass Palmer auch bei der nächsten OB-Wahl in Tübingen noch einmal antritt. Dann könnte er 2016 seine Chance bei der Landtagswahl nutzen. „Der Job in Tübingen ist kein schlechtes Sprungbrett“, sagt der Professor. Wenn es aber bei der Landtagswahl für Grün-Rot nicht mehr reichen sollte und die FDP schwach bleibt, dann wäre womöglich der Weg für eine schwarz-grüne Koalition frei. Palmer wäre dann die Idealbesetzung als Vize-Regierungschef, findet Wehling.