Anfang 1978, auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere, wird Filbinger sogar noch für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt. Doch dann kommt der Absturz: Auslöser ist im Februar 1978 ein Beitrag des Schriftstellers Rolf Hochhuth in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Dadurch wird die Mitwirkung Filbingers an Todesurteilen gegen deutsche Soldaten bekannt. Mit einer Klage vor dem Stuttgarter Landgericht hat der Ministerpräsident nur teilweise Erfolg. Hochhuth darf weiter behaupten, Filbinger sei als „Hitlers Marinerichter“ ein „furchtbarer Jurist“ gewesen und habe „sogar noch in britischer Gefangenschaft nach Hitlers Tod einen deutschen Soldaten mit Nazi- Gesetzen verfolgt.“
Nach und nach werden vier Todesurteile bekannt, an denen Filbinger mitgewirkt hatte, darunter der Fall des Matrosen Walter Gröger. Das von Filbinger beantragte Todesurteil gegen Gröger wegen Fahnenfluchts wurde in Gegenwart des Marinerichters vollstreckt. Zwei weitere von ihm so bezeichnete „Phantomurteile“ ergingen gegen Deserteure im sicheren Schweden. Ein viertes Todesurteil wurde auf sein Betreiben umgehend in eine achtjährige Freiheitsstrafe umgewandelt.
Opfer
Als der Regierungschef die Fälle Stück für Stück eingestehen muss, wird die öffentliche Kritik – auch aus den eigenen Reihen – zu stark. Vor allem sein Umgang mit den Vorwürfen stößt in der CDU auf Kritik: Bis heute sieht er sich als Opfer „einer politisch gesteuerten Rufmordkampagne“. Am 7. August 1978 ist es dann so weit: Filbinger gibt seinen Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten bekannt; seine Parteiämter, unter anderem als CDU-Bundesvize, übt er noch geraume Zeit aus. Bis zum letzten Tag ist er Ehrenvorsitzender der Südwest- CDU.
Dass die Partei den umstrittenen Politiker nie ganz fallen ließ, hat Gründe. Er verkörpert in den 70er Jahren das Bild vom idealen „Landesvater“. Der Jurist tritt 1951 in die CDU ein und gehört von 1960 bis 1980 dem Landtag an. Er wird zunächst Innenminister und 1966 Nachfolger von Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger (CDU), als dieser zum Bundeskanzler gewählt wird.
Mit Filbinger weicht die CDU/FDP-Koalition in Stuttgart einer großen Koalition aus CDU und SPD. Als deren größte Leistung wird eine umfassende Kreis- und Verwaltungsreform angesehen, die Filbinger nur gegen massive Widerstände durchsetzen kann. Denn die Zahl der Landkreise wird von 63 auf 35 verringert. Bei der anschließenden Gemeindereform bleiben von ehemals 3400 eigenständigen Kommunen 1110 übrig.
Filbinger wird drei Mal als Regierungschef bestätigt. 1972 erringt er erstmals für die Südwest-CDU 52,9 Prozent und damit die absolute Mehrheit. Vier Jahre später erreicht die CDU mit ihm ihren Zenit im Südwesten; sie kommt auf 56,7 Prozent der Stimmen. Auf Bundesebene gehört Filbinger zu den schärfsten Kritiker der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt. Er prägt entscheidend den Wahlslogan „Freiheit oder Sozialismus“.
Für die Ökologiebewegung in Deutschland gilt der konservative CDU-Politiker als unfreiwilliger Geburtshelfer: Als er versucht, im südbadischen Wyhl ein Atomkraftwerk bauen zu lassen, erhebt sich die dortige Bevölkerung zum Protest. Die AKW-Pläne scheitern letztlich, weil sich die Umweltschützer zum Widerstand organisiert hatten.