Fast wäre es nicht mehr möglich gewesen, dass die Pietà vom ehemaligen Gasthof "Engel" an ihren ursprünglichen Ort in Tauberbischofsheim zurückkehren konnte, wollte man doch in den 1970er Jahren eigentlich das Gebäude abreißen, um dort einen Parkplatz anzulegen. Glücklicherweise kam es anders und neben dem Kunstverein fand die einstige städtische Bücherei als Mediothek dort ihre neue Heimat.
"Ich habe die Figur immer sehr geschätzt und mich all die Jahre an ihr gefreut", erklärte Margarete Fohmann, älteste Tochter von Josef Reinhart, dem letzten Besitzer des Hauses bei einer kleinen Feierstunde zusammen mit ihrer Familie und Bürgermeisterin Anette Schmidt in der Mediothek. "Viele Jahre stand sie bei uns im Haus in Sulzbach (bei Bad Soden), jetzt bin ich 85 Jahre alt und möchte wissen, wo sie hinkommt. Und ich finde, das hier ist ein guter Platz für sie."
"Ursprünglich stand die Skulptur unter Glas auf einem Podest an der Fassade dieses Hauses," ergänzte Klaus Reinhart seine Schwester, "das Glas war irgendwann gesprungen und darüber hatte ein Spatz sein Nest gebaut. Was das heißt, können Sie sich ja vorstellen."
Mutter Reinhart ließ die Figur bemalen
Zunächst hatte der Künstler das Vesperbild, das er um 1840 aus Lindenholz geschnitzt hatte, wohl komplett grau bemalt. Mutter Mina Reinhart hatte später die Figur zur Werkstatt von Restaurator Bronold nach Gerlachsheim gebracht, der sie nach alten Vorbildern farblich fasste und ein richtiges Schmuckstück aus ihr machte.
Und während die Pietà nun auf ihrem extra für sie gestalteten Platz in ihre neue Zukunft schaut, ging bei der Familie Reinhart der Blick zurück in die Vergangenheit, hatten sie in diesen Mauern doch ihre Kindheit verbracht. Und es war einfach spannend, all den Geschichten von damals zuzuhören, und die Mediothek wäre auch ein wunderbarer Ort, um zu all diesen Geschichten ein interessiertes Publikum an einem Nachmittag einzuladen.
So erinnerte sich zum Beispiel Werner Reinhart noch an die Fußball-Weltmeisterschaft von 1958. "Da wurde der große Fernsehapparat ins Nebenzimmer der Gaststätte gebracht und auf zwei übereinandergestellten Tischen platziert. Für die 350 Gäste, die alle 30 Pfennig Eintritt gezahlt hatten, war zuvor auch für genügend Bier gesorgt worden. Und damals kümmerte es keinen, ob da vielleicht ein Feuer ausbrechen könnte bei all den Zigaretten, die da geraucht wurden."
Die Tochter musste den Bierschalter hüten
Und Margarete Fohmann erzählte, wie sie, wenn der Vater sich nachmittags nach der Arbeit zurückgezogen hatte, den "Bierschalter" an einem der Fenster hüten musste, während sie ihre Hausaufgaben machte. "Es könnte ja einer mit seinem Bierkrug kommen". Und wehe, sie blätterte dabei mal im neuesten Lesezirkel, da hieß es gleich: "Hast du denn keine Arbeit? Dann such' dir welche."
Auch Bürgermeisterin Anette Schmidt erinnerte sich noch gut, wie ihr Großvater immer am Donnerstagabend zum Skat Spielen in den "Engel" ging und wieder reichlich verräuchert nach Hause kam. "Was den Bierschalter betrifft, vielleicht kann man da ja was machen und den alten Schriftzug von den ganzen Farbschichten befreien und ihn wieder zum Vorschein bringen," überlegte sie. Neben der Bürgermeisterin freute sich auch Angelika Benz, Leiterin der Mediothek, sehr über den Neuzugang, der eine Bereicherung für das Ambiente sei. Und so können nun künftig auch die jüngeren Besucherinnen und Besucher der Mediothek sich nicht nur mit neuem Lesestoff versorgen, sondern beim Bewundern der schönen alten Skulptur auch einen Blick in die Vergangenheit des Hauses tun.