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MÜNSINGEN: Treffpunkt Tante-Emma-Laden

MÜNSINGEN

Treffpunkt Tante-Emma-Laden

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    Bietet auch Raum für Klatsch und Tratsch: Armin Deisl bedient in Münsingen-Bremelau in seinem Laden auf Rädern Kundinnen. Ohne solche rollenden Einkaufsstätten gäbe es in vielen abgelegenen Dörfern keine Nahversorgung mehr.
    Bietet auch Raum für Klatsch und Tratsch: Armin Deisl bedient in Münsingen-Bremelau in seinem Laden auf Rädern Kundinnen. Ohne solche rollenden Einkaufsstätten gäbe es in vielen abgelegenen Dörfern keine Nahversorgung mehr. Foto: Fotos: Stefan Puchner/DPA

    Bei Armin Deisl gibt es Milch, Kaffee, Obst – und vor allem etwas zu reden. Mit seinem mobilen Tante-Emma-Laden fährt er von einem Dorf zum nächsten. Nach dem Rückzug der kleinen Einzelhändler ist er oft der letzte Anlaufpunkt, der den Menschen geblieben ist.

    Bremelau ist ein ziemlich typisches Dorf auf der Schwäbischen Alb. Gut 300 Einwohner, mehrere Bauernhöfe, keine Schule, kein Lebensmittelgeschäft. Wenn Armin Deisl freitags mit seinem fahrenden Tante-Emma-Laden anhält, ist das vor allem für die älteren Menschen im Ort etwas Besonderes.

    „Guten Morgen“, ruft Deisl drei wartenden Frauen zu. Die drei klettern in den Lastwagen und decken sich zwischen den engen Regalen für das Wochenende ein.

    Bis vor drei Jahren hat es in der Ortschaft im Kreis Reutlingen noch einen richtigen Laden gegeben. Doch der konnte in dem Ort nicht überleben. „Die jungen Leute fahren ja immer in die Stadt zum Einkaufen, da hat sich das hier nicht gelohnt“, erzählt eine 86-Jährige.

    „Es geht bei so einem Laden um viel mehr als nur um die Lebensmittelversorgung.“

    Münsingen, die nächste Stadt mit einem Supermarkt, ist fast 15 Kilometer entfernt. Busse fahren nur unregelmäßig. Wie in Bremelau schließen in vielen Orten auf der Alb oder im Schwarzwald die Läden und Gaststätten.

    Mobile Filialen wie die von Deisl erleben deshalb einen Boom. 3500 Artikel hat der Lebensmittelhändler auf wenigen Quadratmetern untergebracht. Es gibt Zeitungen, Haferflocken, Toilettenpapier, Damenstrümpfe, Mehl und Shampoo. Mehr als drei Kunden passen kaum in den Verkaufsraum. „Hat's Platz?“ ruft ein Stammkunde von draußen herein. „Kommet, kommet“, antwortet Deisl. Elf Orte hat er heute auf seiner Route. Knapp 70 Ortschaften steuert er pro Woche an.

    „Es geht bei so einem Laden um viel mehr als nur um die Versorgung mit Lebensmitteln“, sagt er. In Hundersingen hat ein Mann lange von früher und von seiner eigenen Landwirtschaft erzählt. Deisl hat geduldig zugehört und ist deshalb nun spät dran. Zu stören scheint das niemanden. „Hier kommen Menschen zusammen. Das ist für einige Ältere zumindest eine kurze Unterbrechung der Einsamkeit.“

    Ohne eigenen Laden und eigene Gaststätte gehe viel Dorfkultur verloren, sagt auch der Tübinger Kulturwissenschaftler Eckart Frahm. Für die Dorfstruktur sei es wichtig, dass es einen sozialen Treffpunkt gebe. Doch auf der Schwäbischen Alb und im Schwarzwald ist das vielerorts schon nur noch ein frommer Wunsch.

    „Viele Gemeinden degenerieren im Moment zu einem reinen Schlafort ohne nennenswertes soziales Leben“, sagt Reinhard Metsch, der im Südschwarzwald für das EU-Förderprogramm Leader zuständig ist. „Die Attraktivität des ländlichen Raums als Lebensraum für junge Familien hat deutlich abgenommen. Je stärker auf dem Land das kulturelle Angebot, das schulische Angebot und die Lebensmittelversorgung abnehmen, desto stärker zieht es junge Leute in die Ballungszentren.“

    „Viele Gemeinden degenerieren im Moment zu einem reinen Schlafort.“

    Reinhard Metsch, zuständig für Leader

    Längst versuchen Politik, Bürger und Vereine deshalb, diese Entwicklung zumindest zu bremsen. Wo kommerziell betriebene Lebensmittelgeschäfte oder Gaststätten nicht lohnen, gründen sich immer häufiger Genossenschaften und führen das Konzept mit viel ehrenamtlichem Einsatz weiter. Auch fahrende Tante-Emma-Läden wie der von Armin Deisl erleben eine stark steigende Nachfrage.

    Fast wöchentlich riefen Ortsvorsteher und Gemeinderäte an und fragten, ob er nicht auch ihre Orte ansteuern könne, erzählt Deisl. Insgesamt sieben rollende Tante-Emma-Läden hat er schon auf die Straßen gebracht, die zusammen viele Hundert Dörfer versorgen. Händeringend sucht er weitere Fahrer.

    Seinem Zeitplan hängt er bei seiner Tour über die Alb noch immer hinterher. Zwischen den Regalen unterhalten sich zwei Frauen in Seelenruhe, statt schnell einzukaufen und zu bezahlen. Deisl mahnt niemanden zur Eile. „Man sieht, wie dankbar die Menschen sind, wenn es im Ort zumindest einmal pro Woche einen zentralen Anlaufpunkt gibt, wo man Menschen trifft und sich unterhalten kann“, sagt er.

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