Ständig steigende Mieten, explodierende Baukosten: Wohnen – in Großstädten zumal – ist heutzutage für viele fast unerschwinglich geworden. Alternative Konzepte sind gefragt. In Heidelberg macht derzeit eine Initiative von sich reden. Dort will eine studentisch geprägte Projektgruppe mit dem Collegium Academicum langfristig bezahlbaren Wohnraum schaffen. Dabei ist auch die aus Tauberbischofsheim stammende Klara Müller.
2016 hat Klara Müller am Matthias-Grünewald-Gymnasium das Abitur abgelegt. Mit großem Erfolg. Sie erzielte die Traumnote 1,0 und erhielt unter anderem den Scheffelpreis. In ihrer Rede wählte sie richtungsweisende Worte. „Innere Werte und Fähigkeiten sind wichtiger als Preise und Auszeichnungen“, erklärte sie damals. Bildung bedeute nicht, Dinge auswendig zu lernen und sie wieder zu vergessen, sondern sich mit Themen und Inhalten auseinanderzusetzen.
Die eigenen Worte hat Klara Müller nur zu gut beherzigt. Während andere nach dem Abitur sofort ein Studium begannen, zog es sie nach Frankreich, um ein freiwilliges ökologisches Jahr zu absolvieren. Auf einem Bauernhof in der Nähe von Lyon jätete sie Unkraut auf den Feldern, stellte Apfelessig her und belieferte regelmäßig Bio-Supermärkte und Cafés mit selber hergestellten Produkten.
Seit dem Wintersemester 2017 studiert Klara Müller an der Universität Heidelberg. Französisch und Politik auf Lehramt am Gymnasium sind ihre Fächer. Gleich zu Beginn hat sie die dramatische Wohnsituation am eigenen Leib erfahren. „Es war wahnsinnig schwierig“, erinnert sie sich. Erst nach langem Suchen fand sie überhaupt eine vergleichsweise günstige Unterkunft. Kommilitonen hatten weniger Glück. Für ein winziges Zimmer in einer Zweier-Wohngemeinschaft mussten sie bis zu 600 Euro zahlen.
Umso begeisterter war sie, als sie auf die Projektgruppe für das Collegium Academicum aufmerksam wurde. „Die Idee hat mich sofort fasziniert und bewogen mitzumachen“, berichtet sie. Auf einem ehemaligen Konversionsgelände der US-Armee ist bis 2019 Wohnraum für über 220 junge Menschen geplant. „Selbstverwaltetes Wohnen, kreative Entfaltung und selbstbestimmtes Lernen sollen auf diese Weise in Heidelberg möglich werden“, so Müller.
Die Planungen für das innovative Projekt laufen nach Müllers Angaben bereits seit 2013. Ein renommiertes Architekturbüro und erfahrene Fachplaner haben die Konzeption in enger Zusammenarbeit mit der Projektgruppe erarbeitet. Die sieht einen Neubau auf dem Gelände des ehemaligen US-Hospitals vor. Die Holzbauweise soll hohe ökologische als auch ästhetische Ansprüche erfüllen. Nachhaltigkeit spielt, so Müller, schon bei der Planung eine wichtige Rolle. In der Konstruktion werde daher beinahe ausschließlich Holz als nachwachsender Rohstoff verwendet.
Der Neubau ist bewusst flexibel gestaltet. Verstellbare Wände sind dabei ein zentrales Gestaltungselement. Mit ihnen kann das Gebäude an verschiedene Nutzungen angepasst werden. Sie ermöglichen es den Bewohnern, miteinander in Kontakt zu treten. „Das schafft Freiräume für Selbstentfaltung“, ist Klara Müller überzeugt. Kultur und Kunst fänden auf diese Weise ebenso Platz wie eine Werkstatt zum Reparieren oder Selbstbauen.
Alte Hülle, neuer Inhalt: Dem alten Verwaltungsgebäude hauchen junge Menschen neues Leben ein. Im Selbstbau sollen Wohnboxen entstehen, die auf kompaktem Raum das Wichtigste bieten. In der umliegenden Gebäudehülle steht viel Gemeinschaftsfläche für Zusammenleben, Lernen und kreatives Arbeiten zur Verfügung. Im Erdgeschoss sind mehrere Seminarräume untergebracht, die sowohl den Bewohnern als auch externen Initiativen offenstehen.
Das Collegium Academicum – darauf legt Klara Müller wert – ist freilich mehr als ein Bauprojekt. „Das CA soll ein Ort sein, der aktiv von seinen Bewohnern gestaltet werden kann.“ Eine möglichst große Vielfalt ist angestrebt. Gedacht ist an junge Leute, die studieren, promovieren oder sich in der Ausbildung befinden. Sie alle sollen ihre unterschiedlichen Erfahrungen einbringen können.
Zentral ist in Müllers Augen ein interdisziplinäres Bildungskonzept, das der Verengung auf einzelne Fachthemen begegnet. Demokratische Selbstverwaltung, Projektlernen und ein Orientierungsjahr zwischen Schule und Ausbildung oder Studium stünden dabei im Vordergrund. „Wir sind überzeugt, dass nur so Verantwortungsübernahme, kritisches Denken und die Entwicklung eines gemeinschaftlichen Geistes gelingen können.“
Das ist sehr idealistisch. Und so soll es auch sein, meint Klara Müller. „Als junge Menschen wollen wir uns entwickeln.“ Lernen sei als gemeinschaftliche Erfahrung zu verstehen. „Wir wollen praktisch und exemplarisch ausprobieren, wie das gute Leben sein kann und daran wachsen.“ Wichtig ist es ihr, Verantwortung zu übernehmen. Ein Aspekt, auf den sie schon in ihrer Scheffelpreisrede hingewiesen hat. „Wir wollen Impulse in die Gesellschaft senden und zeigen, dass sich zusammen ein Unterschied machen lässt.“
Das Projekt ist schon ziemlich weit gediehen. Mit der Stadt Heidelberg gibt es seit Frühjahr 2016 eine Vereinbarung über die Nutzung von attraktiven Flächen auf dem Gelände eines ehemaligen Militärkrankenhauses in Heidelberg-Rohrbach. Nach einer intensiven Planungsphase wurde Ende September 2017 der Bauantrag eingereicht und Ende Dezember 2017 die Baugenehmigung erteilt. Aktuell laufen die Planungen seitens des Architekten- und Fachplanungsteams weiter. Seit Mai 2018 ist ein erstes Zimmer als Demonstrationsobjekt ausgestellt. Der Baubeginn ist im ersten Quartal 2019 geplant.
Parallel dazu laufen die Planungen an der gemeinschaftlichen Finanzierung des Projekts. Als eines von 20 ausgewählten Projekten wird das Collegium Academicum im Rahmen des Förderprogramms „Variowohnen“ der „Forschungsinitiative Zukunft Bau“ mit 2,19 Millionen Euro vom Bundesbauministerium gefördert. Über das Landesförderprogramm „Holz-innovativ“ gibt es 500.000 Euro. Zudem laufen vielversprechende Gespräche mit Banken. Darüber hinaus bedarf es der Beteiligung vieler Privatpersonen, die das Projekt mit Direktkrediten oder Spenden unterstützen. Eine Million Euro hat die Projektgruppe bereits eingesammelt. Bis zum Baubeginn werden weitere rund 600.000 Euro benötigt.
Info: Wer das Projekt unterstützen möchte, kann das mit einem Direktkredit oder einer Spende tun. Weitere Informationen unter E-Mail: kontakt@collegiumacademicum.de; Tel.: (06221) 652236 oder Internet: www.collegiumacademicum.de