(lsw) Der Blick von Schloss Liebenstein geht über idyllische Weinberge und grüne Felder – bis zum Atomkraftwerk Neckarwestheim. Für viele Menschen wäre es ein Alptraum, hier zu wohnen. Die Neckarwestheimer kennen aber viele Gründe, warum es trotz der Reaktoren schön ist.
Nebel wabert um die Betonkuppel und den Schornstein, orangefarbene Blitzlichter erhellen die Szenerie. „Ich hab' mich gefühlt wie in so einem Science-Fiction-Film“, lacht Roswitha Assmuth, wenn sie an eine ihrer ersten Begegnungen mit dem Kernkraftwerk Neckarwestheim im Kreis Heilbronn zurückdenkt. Damals blickte sie von der Terrasse des idyllischen Schloss Liebenstein auf ihr neues Zuhause, den Ort Neckarwestheim bei Heilbronn, hinab.
Seit fast 20 Jahren wohnt sie mit ihrer Familie hier, nur wenige hundert Meter von dem 34 Jahre alten Kraftwerk entfernt, dessen einer Reaktor bald vom Netz gehen soll. Aber das hängt von der Entscheidung der Bundesregierung über eine Laufzeitverlängerung ab.
Günstige Grundstückspreise
Den Entschluss hierher zu ziehen hat Roswitha Assmuth bewusst gefasst – trotz des Atomkraftwerks. Den Ausschlag gaben die günstigen Wohnungs- und Grundstückspreise. „Die Frage war einfach, was bekomme ich für mein Geld“, erinnert sie sich. „Und da war Neckarwestheim eben am attraktivsten.“ Zur Arbeit fährt die Mutter eines 13-jährigen Sohns jeden Tag nach Ludwigsburg. Auch die verkehrsgünstige Lage nahe der Autobahn war ein Argument für Neckarwestheim, weil auch ihr Mann Ingo beruflich viel unterwegs ist. Kurz nach dem Umzug hat Roswitha Assmuth aus Neugier eine Besichtigung des Kraftwerks gemacht. „Das war schon ziemlich steril, alle hatten Schutzanzüge an und mussten Radioaktivitäts-Sensoren tragen“, erinnert sie sich. Idyllisch zwischen Weinbergen in einer ruhigen Straße wohnen die Assmuths in einem kleinen Reihenhaus. Häufig sitzt die Familie abends auf der Terrasse im gepflegten Garten zusammen. Das Einzige, was anders ist, als bei anderen Familien, ist der Ausblick. Der geht nämlich direkt auf das Kernkraftwerk. Für Roswitha Assmuth gehört das inzwischen genauso dazu wie die Gaststätte auf der anderen Straßenseite. „Wenn man hier wohnt, dann existiert es irgendwann nicht mehr. Das Ding ist halt da.“
So wie sie sehen es fast alle Neckarwestheimer. Die meisten der rund 3500 Einwohner empfinden das Atomkraftwerk am Rande des Orts sogar als Vorteil. Nicht nur, dass das Kraftwerk der größte örtliche Arbeitgeber ist – dank der hohen Gewerbesteuereinnahmen zählt Neckarwestheim auch zu einer der reichsten Gemeinden Deutschlands. Die Bürger profitieren davon durch Vergünstigungen und kulturelle Angebote.
Pragmatisches Denken
Angst, dass im Reaktor etwas passieren könnte, hat Roswitha Assmuth nicht. „Wir sagen immer, uns erwischt es dann wenigstens sofort, während die anderen noch lange leiden müssen“, scherzt sie. Zudem vertraut sie den Sicherheitsvorkehrungen im Kraftwerk. „Das wird ja drei bis vier Mal pro Jahr überprüft, ich denke, dass die da schon gründlich sind.“ Passieren könne außerdem überall etwas. „Ich hatte noch nie den Gedanken, es könnte unsere Gesundheit gefährden.“
Dass andere Leute nicht unbedingt mit ihr tauschen möchten, kann die Mitarbeiterin einer Behörde in Ludwigsburg nur bedingt verstehen. Ihr gefällt der Ort, aber das Wohnen in Neckarwestheim ist vielleicht nicht unbedingt für jeden das Richtige, glaubt sie. „Wer zu ängstlich ist, der zieht hier gar nicht erst her. Man braucht schon eine gewisse Pragmatik.“ Viel schlimmer als ein Atomkraftwerk im Ort stellt sie sich aber zum Beispiel das Wohnen neben einer Autobahn vor. „Das Kraftwerk macht ja keinen Krach, man merkt eigentlich gar nicht, dass es da ist. Ich glaube, Lärm ist da viel schlimmer.“
Auch Freunde und Bekannte der Familie finden nichts Schlimmes an dem ungewöhnlichen Wohnort. „Man wird manchmal schon veräppelt, mit Sprüchen wie ,Ihr habt in Neckarwestheim doch die größten Trauben', mehr aber auch nicht“, schmunzelt Roswitha Assmuth.