Karl Schneider aus Mellrichstadt würde es selbst nicht für möglich halten, wenn er es nicht besser wüsste. Der gebürtige Ostheimer, der sich intensiv mit der Geschichte seiner Heimatstadt beschäftigt und mittlerweile ein ganz beachtliches Wissen über die Stadt Ostheim und eine umfangreiche Sammlung historischer Fotos und Dokumente angehäuft hat, kam jetzt in den Besitz einer Kopie eines Briefs vom 26. September 1718. Der war (wie gestern bereits im Frankenteil berichtet) von der damaligen geistlichen Obrigkeit in Eisenach eigentlich an den Amtmann der Lichtenburg zu Ostheim/ Rhön gerichtet, war aber nach Ostheim bei Hanau befördert worden.
Am Wurstmarktwochenende Anfang Oktober hatte Karl Schneider wieder zahlreiche Besucher auf seine beliebten Stadtführungen durch den Luftkurort mitgenommen. Darunter waren auch Gäste aus der kleinen hessischen Gemeinde Nidderau-Ostheim bei Hanau.
Karl Schneider erzählte bei der Führung gerade vom alten Amt Lichtenberg, als bei Hans-Günter Frech, einem der Besucher aus Ostheim bei Hanau, "der Groschen fiel".
Ostheim bei Hanau hatte nämlich im Jahre 2000 seine 1150-Jahrfeier begehen können. Zu diesem Anlass hatten geschichtsbegeisterte Dorfbewohner, unter ihnen auch Günter Frech und weitere Mitglieder des örtlichen Heimat- und Geschichtsvereins, die Archive durchforstet, um eine Chronik zu erstellen. Dabei war den Geschichtsinteressierten ein Schriftstück aus dem Jahre 1718 in die Hände gekommen, das sie nirgendwo einzuordnen wussten. Adressiert war das Schreiben an Sebastian Henrich Kühnen, Amtmann auf der Lichtenburg in Ostheim. Lange rätselten die hessischen Ostheimer, was es mit diesem Brief auf sich haben könnte. Da das Schreiben in Schnörkelschrift verfasst war, konnten sie den Inhalt des Briefes nur bedingt entziffern und kamen bei ihren Nachforschungen nicht weiter.
Als Hans-Günter Frech bei der Stadtbesichtigung nun vom Amt Lichtenburg hörte, wurde ihm klar, dass das alte Schriftstück, das nun schon fast drei Jahrhunderte in seiner Heimatgemeinde gelegen hatte, wohl eigentlich Ostheim/ Rhön als Bestimmungsort erreichen sollte.
Frech berichtete Schneider von dem alten Schnörkelbrief. Schneiders Forscherinteresse war sofort geweckt und Frech ließ ihm kurze Zeit später eine Kopie des Schreibens zukommen. Da auch Schneider mit der Übersetzung der Schrift nicht weiterkam, wandte er sich an den Kreisheimat- und Archivpfleger Reinhold Albert. Und der nahm sich umgehend der Sache an und konnte schließlich eine Transkription des Textes liefern.
In dem Brief, der auf den 26. September 1718 datiert ist, teilt die geistliche Obrigkeit aus Eisenach - "der verordnete Präsident, Räthe und Assessores des Oberconsistory daselbst" - Andreas Rosa dem Amtmann der Lichtenburg den Tod des Geistlichen Inspector Ernst Berger mit und lässt anklingen, dass nun bald ein Nachfolger gefunden werden müsse.
Reinhold Albert fand im Stadtbuch von Ostheim/ Rhön Belege dafür, dass Inspector Berger tatsächlich in der Rhön als Seelsorger tätig war, Berger war im Juni 1711 in Ostheim in sein Amt eingeführt worden. Auch der Tod Bergers am 23. September 1718 ist in der Chronik erwähnt. Karl Schneider fand zudem im Pfarrarchiv weitere Informationen über Berger.
"Jetzt ist klar, dass der Brief eigentlich an unser Ostheim adressiert war", folgert Karl Schneider. Damals wurden die Briefe meist von der sog. Metzgerpost befördert. Wenn die Metzger unterwegs waren, um ihre Vieheinkäufe zu tätigen, unterhielten sie nämlich eigene Postverbindungen, auf denen sie gegen bestimmten Lohn Briefe und Nachrichten transportierten. Karl Schneider vermutet, dass das Schriftstück auf diesem Weg versehentlich ins hessische Ostheim gekommen ist.
Außergewöhnlich ist die Verkettung der vielen Zufälle. Erst gerät der Brief zufällig in das hessische Ostheim, bleibt dort zufällig rund 280 Jahre unbeachtet liegen, dann kommen die hessischen Ostheimer per Zufall ins bayerische Ostheim, um dort zufällig eine Führung mit Karl Schneider zu unternehmen, wobei zufällig die Verbindung zu dem alten Brief hergestellt wird.
So viele Zufälle - das kann schon gar kein Zufall mehr sein, oder?