Nein, es ist keine Heimkehr eines verlorenen Sohnes. Jörg Hartmann sitzt entspannt auf der Vorbühne des Großen Hauses, in einem Schwingsessel aus postsozialistischer Zeit, aus den Jahren also, als der Schauspieler am Meininger Theater debütierte, vom Herbst 1994 bis zum Sommer 1996.
Hartmann erzählt und liest zum Auftakt der Meininger Frühlingslese aus seiner Autobiografie "Der Lärm des Lebens" und beantwortet die Fragen der Moderatorin Blanka Weber. Mit staunenden Augen blickt er immer wieder in den hell erleuchteten Saal, der bis zum dritten Rang hinauf voll besetzt ist mit älteren und vielen jüngeren Menschen.
Einige kennen ihn noch aus seiner Meininger Zeit, die meisten jedoch nur von seinen markanten Fernsehrollen, wie die des vom Leben gebeutelten Tatort-Kommissars Peter Faber oder die des strammen Stasi-Offiziers Falk Kupfer in der TV-Serie "Weißensee".
Wiedersehen mit Wegbegleitern
Hartmann staunt, lacht und begrüßt alte Kollegen, die er schräg über ihm in der Rangloge und im Parkett entdeckt. Schließlich springt er auf, als ihm eine Dame aus der zweiten Reihe zuwinkt – seine Lieblingssouffleuse, aus welchem Theater auch immer. Er geht auf sie zu, umarmt sie und kehrt auf die Bühne zurück.
Man sieht es ihm an: Er fühlt sich wohl, er ist gerührt von der Zuneigung, die ihm entgegen wogt als sei er, ein alter Freund, endlich wieder mal zu Besuch in der guten Stube. Man weiß ja, wie vergänglich solche Augenblicke der Begegnung sind.
Aber Hartmann ist kein verlorener Sohn. Er ist ein selten gesehener, viel beschäftigter Freund der Familie auf Durchreise. Ganz andere Milieus als das Meininger haben ihn geprägt, bevor er zum Vorsprechen ins unbekannte Thüringen vordrang "wie Captain Kirk in fremde Galaxien" und "am gefühlten Arsch der Welt" den Schauspieldirektor zum Lachen brachte.

Jörg Hartmann liest, wie nur ein sensibler, empathischer Schauspieler lesen kann, der weiß, wovon er spricht und das auch mit Gestik, Mimik unterstreichen kann: Von Kindheit und Jugend im Ruhrpott-Ort Herdecke, als Spross einer Arbeiterfamilie – Vater gelernter Dreher und passionierter Handballer, Mutter Verkäuferin.
Hartmann erzählt mit Witz und Selbstironie
Hartmann erzählt mit Witz, Selbstironie und ehrlicher Liebe zu den Menschen über Familie, über Theater, über sich und den mühsamen Pfad der Erkenntnis. "Tu immer nur das, was du verantworten kannst." Dieser Satz seines großen Vorbildes Rolf Boysen geht ihm nicht aus dem Sinn.
Doch immer wieder kehren seine Gedanken zu seinem Vater zurück, dessen Tod ihn letztlich zum Schreiben brachte, zum Schreiben über die Dinge, die zwischen Vater und Sohn noch hätten gesagt werden müssen, aber nicht mehr gesagt werden konnten.

Jörg Hartmann erzählt von der holprigen Suche nach Ruhm und Ehre am Ende der Schauspielausbildung: "Wir waren jung. Hochbegabt. Wer sollte uns aufhalten?". Meiningen lag dabei keineswegs auf seinem Karriereplan. (Heute sagt er: "Ich bin total froh, dass ich hier angefangen habe.")
Selbstüberschätzung eines Jungschauspielers
Fasziniert war er damals von der Berliner Schaubühne, die er am liebsten ohne Umwege angesteuert hätte, wenn er nicht über die Selbstüberschätzung eines Jungschauspielers gestolpert wäre, und am Ende nur Wuppertal oder Meiningen zur Auswahl standen.
Dass er sein Debüt dann an der Werra erlebte, war nicht zuletzt der Sorge geschuldet, seine Eltern könnten jedes Wochenende an die Wupper reisen, um ihren begabten Sohn spielen zu sehen. Wie schwer dann allerdings das erste Jahr hinter den sieben Bergen wurde, davon erzählt er immerhin auf dreizehn Seiten seines dreihundertseitigen Werks.
Und das Publikum goutiert mit verständnisvollem Gelächter die Fettnäpfchen, in die er auf seinem mühsamen Debütantenweg getreten war. Der Rest ist Geschichte, nachzulesen und nachzusehen im Buch und andernorts. Und, wer's mag, im nächsten Tatort mit Peter Faber am 30. März im Ersten. - Standing Ovations am Ende eines völlig entspannten Abends.