Anfang der 1980er-Jahre war es, da traf Fritz Held bei einem Konzert Bettina Schlanze-Spitzner – die „Rhönhexe“. Es war das erste – und das letzte Mal. Nie hätte der 74-jährige Ostheimer gedacht, dass diese zierliche, abgeschieden lebende Frau einmal zum Mythos wird. Und dass er drei Jahrzehnte später ihr Andenken mitbewahrt – indem er ihr Grab pflegt.
Der Friedhof in Oberwaldbehrungen – ein überschaubares, stilles Plätzchen oberhalb des Dorfes. Schlanze-Spitzners Grab ein bescheidenes, in Basaltsteine gefasst, mit einem Holzkreuz versehen.
„Sie wollte in einem Friedhof begraben sein, der hoch liegt“, sagt Fritz Held. Ein letzter Wunsch, der ihr nach ihrem Tod am 7. August 1984 erfüllt wurde. Die Ruhestätte in Oberwaldbehrungen bot sich da an.
Zumal sie nur wenige Kilometer von dort entfernt liegt, an dem die „Rhönhexe“ lebte. Ein kleines Berghaus aus Holz und Stein, mitten auf einer Wiese gelegen. Kein fließend Wasser, kein Strom. Oberelsbach, der nächste Ort, lag acht Kilometer weg.
1950 hatte Schlanze-Spitzner das Haus bei einer Wanderung entdeckt – und es zu ihrer neuen Heimat auserkoren. Mehrere harte Winter stand sie dort mit ihrem Pflegesohn Wolfgang Kensche durch.
Ihren Lebensunterhalt bestritt die „Rhönhexe“ mit einer Rhönschaf-, Gänse- und Hühnerzucht. Und sie verkaufte Bier an Touristen, die mit Bussen in die Abgeschiedenheit fuhren, um diese Frau zu sehen.
So manchem mag sie damals schon mystisch vorgekommen sein – wegen ihres Lebensstils, aber auch wegen der eigenwilligen Kleidung. Kaum jemand der Auswärtigen wird gewusst haben, dass die „Rhönhexe“ gar nicht aus der Rhön stammte.
Bettina Spitzner wurde am 23. Mai 1902 in Chemnitz/Sachsen geboren. Ihre Eltern waren wohlhabend. Früh lernte sie das Landleben kennen – und die weite Welt. Wien, wo sie 1923 den Grafiker Fritz Schlanze heiratete. Die Kaffeeplantage in Guatemala, wo sich das Paar bald niederließ. Oder Minnesota/USA, wo die Familie nach der Geburt von Tochter Maria am 5. März 1924 hinzog.
Schon damals wurde klar, dass Schlanze-Spitzner eine künstlerische Ader besaß und zu einem immateriellen Lebensstil neigte. Sie ließ sich scheiden, wollte 1928 eine Hollywood-Karriere beginnen. Dazu kam es nicht. Aber die Zeit prägte, auch der Aufenthalt in St. Gallen/Schweiz, wo sie in den späten 20er-Jahren per Naturheilkunde von Leukämie geheilt wurde.
Welch krasser Gegensatz 1942 der Aufbruch nach Weyhers in der Hessischen Rhön. Dort kennen die Menschen die Frau laut Held unter einem weniger herben Namen – „Rhönfee“.
Das einsame Leben und die unbekannte Herkunft – sie dürften zum Mythos der „Rhönhexe“ beigetragen haben. Fritz Held machte sich nach dem Treffen mit ihr nicht viele Gedanken. Der gebürtige Heufurter wusste zwar, dass die Frau auf dem Oberwaldbehrunger Friedhof wegen ihrer Lieder, Gedichte und Bilder bekannt ist. Auch hielt er Kontakt zu Wolfgang Kensche. Doch die Idee, sich um das Grab zu kümmern, kam ihm erst vor drei Jahren. Fast jedes Jahr unternimmt er kurz vor Weihnachten eine Abschlusswanderung. Die führt ihn zu dem Friedhof.
Damals fiel ihm auf, dass der Kugelbusch auf dem Grab ziemlich stark wucherte. Er sprach den Chef des Ostheimer Bauhofs an. Der schnitt das Gewächs zurück.
Nun jährt sich der Todestag der „Rhönhexe“ zum 30. Mal. Und so ließ Held das Kreuz auf dem Grab im März von zwei Bekannten aus Heufurt renovieren. „Die verblichene Schrift wurde wieder lesbar gemacht und das Holz von hinten aufgeblendet. Es war angefault.“
Zum Jahrestag will der 74-Jährige, der seit 24 Jahren in Ostheim lebt, das Unkraut um die Grabstelle beseitigen. Mit Maria Schlehuber, der in Kassel lebenden Tochter, hat er „drei oder vier Mal telefoniert“. Auch geschrieben haben sich die beiden.
Fast wäre die 90-Jährige vergangenes Jahr in die Rhön gereist – zu einer Ausstellung von Werken ihrer Mutter. Die fiel damals aus. Dennoch: Der Mythos der „Rhönhexe“ lässt Fritz Held nicht mehr los.
ONLINE-TIPP
Mehr Informationen zu Leben und werk der „Rhönhexe“ unter schlanze-spitzner.de