Diesen Montag musste Lilli Balling sehr früh aufstehen. Mitten in der Nacht machte sie sich auf den Weg nach Regensburg, wo sie einen Sonderzug Richtung Rom nimmt. „Der Papst hört auf und ich höre auch auf – das passt doch“, kommentiert sie ihre Reise zur letzten Audienz von Benedikt XVI. mit einem Schmunzeln.
Natürlich ist der Hintergrund etwas ernsthafter. Lilli Balling fährt aus Dankbarkeit zum Heiligen Vater, aus Dankbarkeit für ein „kleines Wunder“, wie sie es nennt. Die bekannte Rhöner Wirtin hat nach langem, langem Suchen doch noch einen Nachfolger für ihr Lebenswerk, die Hansen-Mühle mitten in Frankenheim, gefunden – ihren Enkel Thomas.
Lilli Balling wird in diesem November 80 Jahre alt. Auch wenn sie aussieht wie das blühende Leben, weiß sie natürlich, dass sie einmal die Kräfte verlassen werden. Seit nunmehr vier Jahren sucht sie daher nach einem Nachfolger, der ihr Gasthaus mit mehr als 120 Sitzplätzen und 30 Gästebetten übernimmt – vergeblich.
Zuerst hat sie sich dabei natürlich in der Familie umgesehen. Keines von ihren fünf Kindern oder zehn Enkelkindern zeigte Interesse. „Verkauf's und verleb' dein Geld“, lautete ihr Rat. Auch ein Makler konnte nicht helfen. Es fand sich kein neuer Wirt für die Hansen-Mühle. „Irgendwann hätte ich zumachen müssen“, war Lilli Balling klar.
Das wäre ihr sehr schwer gefallen, denn die Hansen-Mühle ist ihr Lebenswerk. 1958 war sie mit ihrem Ehemann Hans und den beiden Kindern von Heufurt nach Frankenheim gekommen in die nach dem Tode des Großvaters leer stehende Mühle. „Da machen wir was draus“, haben sie sich damals vorgenommen.
Mehrere hundert Jahre alt
Erstmals urkundlich erwähnt wurde das Anwesen 1553 im Zusammenhang mit einem Hansen Braungart. Von 1701 bis 1956 wurde der Betrieb als Mühle, Bäckerei und Landwirtschaft geführt. Etwas, das für Lilly Balling und ihren Mann nicht in Frage kam. Zunächst richteten sie ein Lebensmittelgeschäft ein, 1970 rissen sie Stallungen, Bäckerei und Teile der Mühle ab und bauten an deren Stelle den Gasthof im Stil eines fränkischen Fachwerkhauses. Schließlich betrieben schon Lillis Eltern in Bischofsheim ein Gasthaus. Mit zwölf Jahren musste Lilli schon im Braustüble am Bahnhof in der Küche mitanpacken und lernte dort und später in der Haushaltungsschule die Küchenarbeit von Grund auf.
Das Gasthaus Hansen-Mühle lief gut an. Die Gäste fühlten sich wohl und kamen immer wieder. Einen schlimmen Rückschlag gab es, als Hans Balling 1973 bei einem Unfall starb. Nun musste Michaela, die älteste Tochter, ihre Lebensplanung ändern. Mit gerade mal 16 Jahren wurde sie voll im Betrieb eingesetzt. Mutter Lilli in der Küche, Michaela macht den Service. Das geht nun seit 40 Jahren so und es ging immer gut, wie Lilli Balling berichtet.
Sie beide hätten offensichtlich eine sehr ähnliche Einstellung zum Leben und zur Arbeit. Und diese Einstellung lautet: „Bei uns wird geschafft! Ohne Arbeit ist alles nichts!“, wie Lilli Balling mehrfach betont.
Aber wer viel Arbeit in sein Lebenswerk steckt, möchte es im Alter in guten Händen sehen. Vor einigen Jahren musste Lilli Balling einsehen, dass sie ein kleines Wunder braucht, um einen Nachfolger für die Hansen-Mühle zu finden. „Wunder dauern aber oft etwas länger“, stellt sie heute fest, nachdem für sie dieses Wunder eingetreten ist.
Meinung geändert
Entgegen früheren Bekundungen hat Enkel Thomas Vorndran, der Sohn von Michaela, sich nun doch bereit erklärt, die Hansen-Mühle weiterzuführen. Bisher lebte und arbeitete der 33-Jährige mit seiner Frau in Fürth. Doch das Stadtleben erweist sich für die beiden jungen Rhöner als problematisch. Für ihr inzwischen dreijähriges Kind fanden sie keinen Krippenplatz, auch mit dem Kindergartenplatz gibt es Schwierigkeiten.
In der Stadt Bischofsheim findet die Familie alles, was sie braucht – vor allem, wenn sie noch etwas größer werden sollte: eine günstige große Wohnung, Krippen- und Kindergartenplätze, eine gute Schule und nicht zuletzt ein gutes Auskommen in der schönen Rhön.
Denn die Hansen-Mühle ist ein gut gehender Betrieb, wie Lilli Balling betont. Vor allem im Sommer sei die Auslastung der Fremdenzimmer gut und ihr Konzept habe viele Freunde. „Tüten und Dosen kommen mir nicht in die Küche, und das wird auch so bleiben“, betont die Bischofsheimer Wirte-Institution kategorisch. Sie kocht bodenständige Rhöner Küche und Rhöner Kuchen, wie sie es einst von ihrer Mutter gelernt hat.
Dieses Wissen will sie nun auch ihrem Nachfolger vermitteln. Der kennt zwar schon vieles, schließlich ist in dem Gasthaus in der Frankenheimer Ortsmitte aufgewachsen. Aber Lilli Balling wäre nicht sie selbst, wenn sie ihm in der Anfangszeit nicht zur Seite stehen würde. Weit hat sie es nicht. Sie hat zwar ihre Wohnung für ihren Nachfolger geräumt, ist aber ins angebaute Ferienhaus gezogen.
Nun ist sie erst einmal nach Rom gefahren, um dort den Papst zu sehen und für ihr „Wunder“ zu danken. Das wird am Freitag wahr. An diesem Tag will sie zurück sein und das Gasthaus ihrem Enkel übergeben.