Dass Ameisen nicht in einem chaotischen Haufen leben, sondern in einem wohlgeordneten und vielstöckigen Bau in einer grandiosen Solidargemeinschaft, dass sie wesentlichen Anteil an einer intakten Ökostruktur zum Nutzen der Natur und damit auch des Menschen haben, und dass sie so fleißig sind wie sonst kaum ein Lebewesen erfuhren die Wanderfreunde des Rhönklub-Zweigvereins Mellrichstadt am vergangenen Sonntag bei einer naturkundlichen Wanderung durch den Wald am Rehberg in Frickenhausen.
Die Hobbybiologin und ehrenamtliche Ameisenhegerin Christiane Reuß aus Stockheim führte die knapp zwanzig naturinteressierten Wanderer auf Einladung des Rhönklub-Naturschutzwartes Roland Wolf (Frickenhausen) trotz regnerischen Wetters in das intakte, weil weitgehend naturbelassene, Waldgebiet am Rehberg, wo sich viele Waldameisenkolonien angesiedelt haben. Sie leben in gut strukturierten und intelligent konstruierten „Ameisennestern“ in Hügelform, wie Reuß ausführte. Unter den 111 in Deutschland vorkommenden Arten gibt es neun Waldameisenarten, die alle schon seit zweihundert Jahren unter Naturschutz stehen. Die in unseren Wäldern am weitesten verbreitete Art ist die Rote Waldameise - auch am Rehberg.
Clevere Baumeister
Am Fuße eines jeden Ameisenhügels waren Erdauswurfringe zu sehen, denn die fleißigen Tierchen bauen ihre Nester meist um einen vermodernden Baumwurzelstock herum und höhlen den Untergrund bis zu zwei Meter tief aus für ihr intelligentes Wege- und Belüftungssystem und zum Anlegen der Brutnester im Hügelbau. Außerdem nutzen sie zum Bau die im Wald vorhandenen Vegetabilien (Nadeln, Blattreste, Holz- und Aststückchen, Knospen, Harzklümpchen). Jedes Detail des genial konstruierten Bauwerks erfüllt eine Funktion, um den Stock funktionsfähig und gesund zu halten. Der Hügel ist ein dynamisches Gebilde, denn er wird ständig umgebaut, ausgebessert und erneuert.
Die Kuppel ist das trockenwarme Wärmezentrum, in dem die Puppen bei gleichbleibend rund 27 Grad ausreifen können. Darunter folgen in eigenen Bezirken abwärts gestaffelt die Alt-, Mittel- und Junglarven, tief unten die Königin (manche Arten haben viele Königinnen) und die Eier.
24-Stundenbetrieb
Überall wo man hinsah, waren viele tausend Ameisen unterwegs. Laut Reuß sind sie 24 Stunden lang aktiv. Sie schlafen nicht, außer in der Winterstarre, sonnen sich aber gelegentlich. Im und am Ameisenhügel der Roten Waldameisen leben rund eine halbe Millionen Arbeiterinnen im Außen- und Innendienst, jede arbeitet solidarisch für die große Gemeinschaft. Die Außenarbeiterinnen sind die Futterbesorger, auch Jägerameisen genannt. Sie versorgen die innere Fraktion, welche die Brut aufzieht und das Nest in Schuss hält, sowie die Königin, die täglich dreißig Eier legt.
Zwei Drittel ihrer Nahrung sind Honigtau, der Rest Insekten (Läuse, Käfer, Raupen), darunter viele Forstschädlinge und Aas. Auf ihren Streifzügen befördern sie auch die Samen von mehr als hundert Waldpflanzen und fördern somit deren Vermehrung. Eigene Verluste durch Gefressenwerden von Waldvögeln, für die sie eine wichtige Nahrungsquelle sind, können sie durch ihre Massen gut kompensieren. Ameisenleichen werden in einem eigenen Friedhof in der Nähe des Hügelnests beerdigt.
Tierisch intelligent
Laut der Ameisenschutzwartin sind die Waldameisen die intelligentesten Insekten, denn sie sind geniale Konstrukteure, Baumeister, Brückenbauer, Verkehrsplaner, Viehzüchter (Läuse), Vorratshalter, Gesundheitsschützer, Sozialarbeiter, Erzieher und Umweltschützer in ihrem Ameisenstaat und in dessen Umgebung. Wo sie ansässig sind, herrscht Artenvielfalt und ist der Waldabschnitt intakt.
Die Wandergruppe war mächtig beeindruckt von diesen vielseitigen Tierchen. Christiane Reuß empfahl, sie in Ruhe zu lassen und sie nur in gebührendem Abstand zu betrachten, denn wenn sie sich bedroht fühlen, verspritzen sie ihr Abwehrmittel Ameisensäure achtzig Zentimeter weit. Diese aggressive Säure führt zu Hautrötungen oder -ausschlägen und beschädigt sogar die Kunststoffschicht auf Brillengläsern.
Laut Broschüre des Dachvereins "Deutsche Ameisenschutzwarte e.V." (DASW) ist die Waldameise "ein wichtiges Schlüsselglied im Ökosystem Wald". Sie ist nützlich für andere Tiere, vor allem für Vögel, für Wildbienen und weitere Insekten, für viele heimische Waldpflanzen, für Pilze, für die Waldbodenverbesserung und sogar für die Forstwirtschaft als Schädlingsvertilger. Sämtliche Waldameisen stehen somit zu Recht unter Naturschutz.
Ein großer Feind
Dass ihr Bestand dennoch zurückgeht, liegt nicht an ihren natürlichen Feinden, sondern am Menschen, der ihnen immer mehr Lebensraum nimmt durch den Bau von Straßen und Versorgungswege, die durch Waldabschnitte und entlang von Waldrändern führen, sowie durch unachtsamen Holzeinschlag und Insektizideinsatz.
Laut Reuß hat es in den letzten fünfzig Jahren einen Artenrückgang von fünfzig Prozent gegeben. Ameisenschützer suchen deshalb die Zusammenarbeit mit Förstern, Waldbesitzern, Jägern und Behörden, um Zerstörungen von Ameisennestern zu vermeiden oder bei unvermeidlichen Baumaßnahmen zu retten, was zu retten geht. Leider gibt es bislang nur ehrenamtliche Ameisenschützer, die auf weitere ehrenamtliche Helfer hoffen.