Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Rhön-Grabfeld
Icon Pfeil nach unten
Bad Neustadt
Icon Pfeil nach unten

WILDFLECKEN: Die Amerikaner wussten genau Bescheid

WILDFLECKEN

Die Amerikaner wussten genau Bescheid

    • |
    • |
    Bilder aus einer anderen Zeit: Die Mannschaftsgebäude im Truppenlager wurden Ende der 1930er-Jahre gebaut. Als noch unverputzter Ziegelbau passten sie sich gut in den Wald ein, vielleicht ein Grund, warum sie lange für geheim gehalten wurden.
    Bilder aus einer anderen Zeit: Die Mannschaftsgebäude im Truppenlager wurden Ende der 1930er-Jahre gebaut. Als noch unverputzter Ziegelbau passten sie sich gut in den Wald ein, vielleicht ein Grund, warum sie lange für geheim gehalten wurden. Foto: Foto: Paulusverlag Fulda/Sammlung Joachim Jenrich

    Seit Ende des Zweiten Weltkriegs geht ein Gerücht: Die Amerikaner hätten bei der Eroberung Wildfleckens am 7. April 1945 nicht gewusst, dass es Kaserne und Truppenübungsplatz gibt. Überrascht seien sie gewesen, ein so weit verzweigtes Militärgelände vorzufinden. Thomas Büttner räumt mit dem Gerücht auf. Bei seinen Forschungen zur Kulturlandschaft im Oberen Sinntal fand er das Protokoll eines Kriegsgefangenen. Es belegt: Die US-Armee wusste genau, was dort oben vor sich geht.

    „Secret – geheim“ steht als erstes Wort auf dem mehrseitigen Protokoll und „Fatherland – Vaterland“. Doch geheim bleibt in diesem nach dem Titel benannten „Vaterlandsbericht“ nichts, zumindest, was den Militärstandort Wildflecken angeht.

    Bebauungsstruktur, auch der Munitionsanstalt, Lage und Querschnitt der Bunker, Zahl der Bahnanschlüsse, militärische Organisationsstruktur inklusive Zahl der Mannschaften und Belegung mit Dienstgraden – alles das steht in dem in Englisch verfassten Bericht vom 16. Februar 1945. Dazu Angaben über die Stromversorgung und, dass in Wildflecken Giftgas nicht produziert, aber gelagert und abgefüllt wurde.

    Als „reliable“, als vertrauenswürdig, sind die Informationen eingestuft. Sie müssen von einem Menschen stammen, der tiefen Einblick in die Vorgänge des Militärstandortes Wildflecken gehabt hat.

    Wie der Informant hieß, ist Thomas Büttner nicht bekannt. Aus dem Protokoll geht nur hervor, dass er zwischen November 1942 und September 1943 unterhalb des Kreuzbergs gearbeitet hat. Ob zwangsweise oder freiwillig, weiß Büttner nicht. Auch die Nationalität ist ihm unbekannt und wie er von Wildflecken aus in englische oder amerikanische Gefangenschaft gekommen ist.

    Büttner vermutet, dass der Befragte nicht Zwangsarbeiter war: „Dann hätte er nicht die Fülle an Informationen haben können.“ 1944 oder spätestens Anfang 1945 muss er mit den Alliierten Kontakt aufgenommen haben, vermutet Büttner.

    Der Landschaftsplaner, der im hessischen Morschen ein Büro für Heimatkunde und Kulturlandschaftspflege betreibt, hat den Vaterlandsbericht von Werner Nöth bekommen. Der ist beim Landratsamt Bad Kissingen für die Kartierung von Flächen zuständig, auf denen Altlasten vermutet werden.

    Nöth hat den Bericht nach Büttners Angaben von einem Ingenieurbüro, das sich mit der Beseitigung von Altlasten beschäftigt. Es hatte ihn für seine Zwecke aus einem Archiv in Washington angefordert.

    Heinz Leitsch aus Modlos betreibt Militärgeschichte als Hobby. Für ihn sind Büttners Informationen neu und von großem Interesse.

    Er ging bisher davon aus, „dass die Amerikaner von Wildflecken zwei bis drei Wochen vor der Einnahme wussten“. Das belege die Stärke der Truppen, die dafür vorgesehen war.

    „Für Brückenau war ein Panzer-Bataillon vorgesehen, weil dort wenig Widerstand erwartet wurde. In Wildflecken waren es diese Einheit, ein Infanteriebataillon und andere Verbände.“

    Im Vaterlandsreport steht auch, dass Wildflecken vor März 1944 nicht bombardiert wurde – ein weiterer Hinweis, dass die Amerikaner genau wussten, was dort steht.

    Bei den überwältigenden Beweisen: Woher kommt der Mythos vom geheimen Truppenübungsplatz? Thomas Büttner tippt auf Verklärung: „Unabhängig von der Ideologie waren die Leute wohl stolz auf die mächtige Anlage, die dort zwischen 1936 und 1938 geschaffen wurde.“

    Bürgermeister Alfred Schrenk glaubt, dass die Wildfleckener sich zu erklären versuchten, warum es bei der Einnahme keine größeren Gefechte gab. Sie hätten ja nicht wissen können, dass die meisten Wehrmachtssoldaten zum Kämpfen anderswo abgezogen waren. Tarnmaßnahmen und dass die Gebäude perfekt in den damals noch dichteren Wald passten, habe den Mythos ebenfalls genährt.

    Denn geheim war der Truppenübungsplatz Wildflecken nie. Nicht einmal die Wehrmacht verschwieg seine Existenz, so Heinz Leitsch. Das geht aus den vielen Ansichtskarten mit Bildmotiven des Truppenlagers hervor, die zwischen 1938 und 1945 tausendfach von Wehrmachtsangehörigen an Angehörige und Freunde verschickt wurden. Noch heute sind sie zu Hunderten auf Tauschbörsen zu finden.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden