Das Thema der Februar-Ausgabe von „Mellrichstadt liest“ passte natürlich perfekt in die fünfte Jahreszeit. Nun dient im Fasching das Spiel mit Kleidung und Verkleidung vor allem dem Frohsinn und der Heiterkeit, allerdings kann der textile Stoff auch zum literarischen Stoff werden; da nämlich, wo Kleidung Identität ausmacht oder gar erst konstituiert, oder wo sie zum Beispiel auch Spiegel der Gesellschaft ist.
Sabine Tolksdorf, als Schneidermeisterin schon von Berufs wegen für das Thema prädestiniert, eröffnete den Abend in der Vhs-Galerie mit einem Roman von Noëlle Châtelet, „Die Dame in Blau“. Diese alte Dame in einem Kleid aus blauem Seidencrpe kreuzt für einige Minuten den Weg der durch die Stadt hetzenden Mireille.
Als Presseattaché immer in Eile und unter Druck entdeckt Mireille durch die Dame und ihren Gang eine ihr bisher fremde, ruhige und sichere Langsamkeit.
Diese Entdeckung der Langsamkeit erschließt Mireille nicht nur eine ganz neue Welt. Sie drückt sich auch in veränderter Kleidung aus: Eben noch in taillierten, kurzen, leicht aufreizenden Sachen unterwegs, ist ihr nun eher nach einem grauen Kostüm zumute. Und die Veränderung geht noch weiter: Die grauen Strähnen in den Haaren werden nicht mehr überfärbt, sondern mit ebenso viel Zärtlichkeit geliebt wie die Stickereien ins Fleisch, als die sie Falten nun zu betrachten vermag. Diese angesichts des Jugend und Fitness propagierenden Zeitgeistes sehr sympathische neue Einstellung wird durch die veränderte Kleidung nach außen getragen, das Innen ist mit dem Außen im Einklang.
Ganz anders geht es da Griet, dem „Mädchen mit dem Perlenohrring“ aus dem gleichnamigen Roman von Tracy Chevalier, von der Autorin Sylvie Kohl erzählte. Griet, die als Hausmädchen ins Haus von Jan Vermeer gekommen ist und ihm nun Modell sitzen soll, fühlt sehr deutlich die Diskrepanz, die zwischen ihren Dienstmagd-Kleidern und dem Posieren als Dame besteht. „Nur sie“ will Vermeer da malen, nicht als Dienstmagd, nicht als Dame, ganz frei von jeder Rolle – und scheitert doch lange Zeit an Griets Hemmungen, gegen ständische Kleiderordnungen zu verstoßen, ihre Haube abzunehmen und ihr Haar zu zeigen.
Probleme mit der Rolle, die die Kleidung ihr vorgibt, hat auch Peggy, die Heldin der gleichnamigen Kurzgeschichte von Frank Bischoff. Fred Rautenberg, der zum Vorlesen im Kreis seiner Zuhörer sitzen blieb, erzählte ihre Geschichte mit der Ausdruckskraft des geübten Vorlesers.
Peggy nun hat schon viele Dienstuniformen getragen. Jetzt, im Bordell, fällt die Dienstkleidung um einiges knapper aus und auch der Ton ist rauer, sodass sich Peggy aus dem Staub macht – im Nonnenkostüm, das die Kollegin für ganz besondere Rollenspiele bereithält.
Unter Nonnen
Auf der Flucht vor ihrem Zuhälter und später dann auch der Polizei fällt Peggy bisweilen sehr aus der Rolle, sei es, weil sie zum Nonnenhabit knallrote High-Heels trägt, sei es, weil sie das Bekreuzigen nicht recht beherrscht. Und so kann sie auch nur dank Schwester Devota in einer Busladung voller echter Nonnen untertauchen, denn dass mit dieser Nonne etwas nicht stimmt, das merken die beiden Polizisten, die ihren Ausweis kontrollieren, schnell.
Gerettet ist Peggy also, und trotzdem vom Regen in die Traufe geraten, denn im Kloster gibt es einen grauen Arbeits-Kittel, der um einiges hässlicher ist.