Es sind rührende Szenen, die sich am Freitag, 17. April, am und im Haus am Kurpark in Bad Neustadt abspielten: Eine ältere Dame steht innen am Fenster, zwei weitere Frauen drücken ihre Hände von außen an die Scheibe. Ein paar Schritte dahinter steht ein Mann und wischt sich eine Träne aus dem Auge. Die drei Personen vor der Scheibe halten ein mit Blumen bemaltes Plakat in Händen, auf dem die Aufschrift "Herzlichen Glückwunsch liebe Mutti und Oma" zu lesen ist.
Die Entstehung des ergreifenden Fotos hat einen fröhlichen und zugleich traurigen Hintergrund: Am 17. April vollendete Erika Herrmann, die im Haus am Kurpark lebt, ihr 100. Lebensjahr. Soweit der fröhliche Aspekt des Tages. Die aktuell bestehende Corona-Krise allerdings sorgte für einen Wermutstropfen zu diesem eigentlich schönen Anlass. Denn Erika Herrmann darf - wie alle anderen Bewohner von Seniorenheimen - derzeit zum Schutz vor einer Corona-Infektion keinen Besuch empfangen. Und so konnte sie auch ihren 100. Geburtstag nicht wie geplant mit ihren Angehörigen feiern.
Familie wollte zeigen, dass sie bei Erika Herrmann ist
Für die betagte Frau eine schwierige Situation, wie ihre Tochter Waltraud Reiß schildert: "Normalerweise besuche ich meine Mutter täglich, sie ist geistig topfit und braucht jemanden, mit dem sie auch über alltägliche Dinge, also Politik oder das Weltgeschehen reden kann. Zwar telefonieren wir nun jeden Tag, aber das ist nicht dasselbe. Mutti vergleicht die jetzige Situation ab und an mit dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem Unterschied, dass man sich da wenigstens persönlich trösten und umarmen konnte."
Der Familie war es ein Anliegen, Erika Herrmann auch in der jetzigen Situation und besonders an ihrem 100. Geburtstag zu zeigen, dass sie bei ihr ist und an sie denkt. Und so hatte die Enkelin von Erika Herrmann die Idee, ihr am Fenster ein Ständchen zu singen. Waltraud Reiß schlug vor, mit Plakaten die Glückwünsche auszudrücken. In Zusammenarbeit mit Heike Sieberth-Wassermann vom Sozialdienst des Haus am Kurpark konnte die Aktion am Nachmittag des 17. April starten.
Aktion ging allen sehr zu Herzen
"Ich lotste Erika Herrmann - sie wusste gar nichts von der Aktion - an ein großes Fenster in der Einrichtung. Davor standen dann die Angehörigen mit ihren Plakaten, alle haben sich sichtlich gefreut", schildert Sieberth-Wassermann. Sie ist noch immer gerührt, wenn sie an den besonderen Moment denkt, den sie im Foto festgehalten hat. Spätestens, als Waltraud Reiß, ihr Mann und ihre Tochter dann noch ein "Viel Glück und viel Segen" im Kanon anstimmten, floss die ein oder andere Träne - sowohl bei der Jubilarin, als auch bei deren Familie und dem Personal der Einrichtung.
Allen Beteiligten sei die Aktion sehr zu Herzen gegangen, erzählt Waltraud Reiß. Auch Heike Sieberth-Wassermann erinnert sich an einen sehr emotionalen Moment: "Hundert Jahre alt wird man schließlich nicht alle Tage. Frau Herrmann hatte sich so auf die Geburtstagsfeier mit ihren Lieben gefreut. Die konnten wir aufgrund der Pandemie natürlich nicht durchführen. Aber wir haben das Beste aus der Situation gemacht. Ich denke, das ist uns gelungen, auch ich war ganz ergriffen von dem Szenen, die sich am Fenster abgespielt haben. Es sind eben die kleinen Dinge, die zählen und die das Leben besonders machen."