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MEININGEN: Ein Käthchen nicht von dieser Welt

MEININGEN

Ein Käthchen nicht von dieser Welt

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    Blond, schön, verführerisch, unschuldig und ungeheuer treu: Sophie Lochmann als Käthchen, hier mit Harald Schröpfer als Graf Wetter vom Strahl.
    Blond, schön, verführerisch, unschuldig und ungeheuer treu: Sophie Lochmann als Käthchen, hier mit Harald Schröpfer als Graf Wetter vom Strahl. Foto: Foto: Foto ED

    Ach, Käthchen, wer bist du? Eine reale Gestalt aus dem Hier und Jetzt, ein Punkerengelchen mit Schnürstiefeln und Augenbrauenpiercing? Oder bist du eine Märchenfigur, eine Cousine von Schneewittchen? Auf jeden Fall bist du in der Meininger Inszenierung von Kleists „Käthchen von Heilbronn“ blond, schön, verführerisch, furchtbar unschuldig und ungeheuer treu. Und deine Widersacherin, die böse Kunigunde, haben Regisseur Thomas Goritzki und seine Ausstatterin Katrin Busching natürlich schwarzhaarig und gar nicht so vorteilhaft gestaltet.

    Fragen wir jetzt noch nach dem schönen, strahlenden Helden, dem Grafen vom Strahl, den Käthchen im Traum als den zukünftigen Liebsten entdeckt hat. Weiß oder schwarz? Weißer Anzug, selbstredend. Also, alles klar, mit Gut und Böse? Nein, so einfach ist es nicht. Erfreulicherweise überrascht uns diese Inszenierung immer wieder. Nun könnte man meinen, wir seien mit diesem Käthchen und seiner Welt irgendwo zwischen einer zauberhaften, sprachgewaltigen Hymne an die Macht des Irrationalen und einem Besuch im „historischen Arsenal einer Leihbibliothek“, wie es ein Kritiker einmal ausdrückte.

    Tatsächlich erinnert einen das reine Käthchen an die in Literatur und Musik von ihren männlichen Schöpfern enorm überhöhten Projektionsgestalten: Frauen als Erlöserinnen von Männerpein und Männerwahn. Irgendwie erinnert Käthchen auch an das, was wir uns als Jungprinzen an Prinzessinnen erträumten. Der Traum hielt so lange, solange der äußere Feind der Liebe klar definiert war. Bei Kleist ist das nicht weniger als das weltliche Treiben.

    Auf der anderen Seite wird in Kleists Stück die Theatermaschine kräftig in Bewegung gesetzt, wie in einem romantischen Kitschroman. Es donnert und blitzt, es brennt und stürmt. Ein Engel spielt eine tragende Rolle, eine Hexe taucht auf. Und selbst der reißende Fluss strömt über die Bühne Richtung Zuschauer. Ein wildes Treiben, fast wie beim Freischütz. Müssen wir das alles ernstnehmen? Auf eine andere Weise als ursprünglich vermutet. Denn obwohl Goritzkis Interpretation der Geschichte erhaben beginnt und man sich vor kippenden, verfallenen Hausfassaden schon auf einen ernsten Abend einstellt, gewinnen die Figuren – bis aufs heilige Käthchen – unvermutet eine komische Note. Unser strahlender Held (Harald Schröpfer) erweist sich als Charakter mit hochneurotischen Zügen, der gerne große Töne spuckt, aber in den entscheidenden Situationen wie gelähmt wirkt oder erschreckend überhitzt. Die zweite Überraschung des Abends ist die Fantasie, mit der die Macher Handlung und Kulisse lebendig werden lassen. Das ewige Rittergerassel, die Feuersbrunst, der reißende Fluss, Kunigundes Entzauberung – da muss man einfach hinsehen und staunen.

    Aber das Unerwartetste ist dieser Cherubim, der Käthchen schützt und den Grafen auf den rechten Weg bringt. Obwohl er keineswegs unserem Bild vom Schutzengel entspricht, verbreitet er eine Ruhe und Gelassenheit, vor der kein „Ja, aber“ Bestand hat: schwarze Strickmütze, Kassenbrille, Hosenträger, geknöpftes Unterhemd, Trenchcoat, unter dem jeder Schutzbefohlene leicht Platz findet. Mit der einen Hand schleppt der Engel einen Rollkoffer, in der anderen trägt er einen lädierten Flügel. Wer? Hans-Joachim Rodewald – überirdisch irdisch.

    Beim Käthchen mit sommerleichtem blauen Kleid, den Springerstiefeln und dem Piercing muss man das „irdisch“ bereits mit Fragezeichen versehen. Sophie Lochmann spielt bezaubernd, aber irgendwie flüstert einem eine Stimme zu: „Die ist nicht von hier, die kommt aus Kleists Kopf und aus dem des Regisseurs.“ Da sind uns die wackeren Männer mit ihrem Getön und Gedröhn und ihren Gelüsten schon näher, und auch Kunigunde (Liljana Elges) könnte eine der unseren sein.

    Wir sehen also: Das Käthchen bleibt eine schwer fassbare Gestalt. Staunend steht sie mit großen Augen vor der verwirrenden Wirklichkeit, wie wir manchmal auch. Aber ihre Lebensführung, die ist nicht von dieser Welt. Bleibt zu hoffen, dass auch uns ein Cherubim unter die Arme greift, selbst wenn wir nicht so konsequent sind wie Käthchen.

    Nächste Vorstellungen der letzten Inszenierung im Großen Haus vor der Generalsanierung: 7., 15. und 19. Mai, 19.30 Uhr. Kartentelefon: Tel. (0 36 93) 451 222 oder 451 137. www.das-meininger-theater.de

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