Hand aufs Herz, wann haben Sie sich zum letzten Mal in die Tiefen ihres Lesesessels zurückgezogen um einen Gedichtband in die Hand zu nehmen? Die meisten Mitmenschen verbinden mit dem Thema Poesie wohl zumeist unangenehme Erinnerungen an das Auswendiglernen ellenlanger Texte, die man so gar nicht verstand.
Eigentlich schade, da ja gerade Gedichte in überschaubaren Textlängen Aussagen zum menschlichen Miteinander, zum Geschehen in unserer Welt auf den Punkt bringen. So hat sich die Flotte Bühne unter der Leitung von Anja Zuber Bördlein zum Ziel gesetzt, der vom Aussterben bedrohten Literaturgattung Lyrik neues Leben einzuhauchen.
Als Plattform für die Darbietung der Gedichte aus den vergangenen vier Jahrhunderten hatte man einen Bahnhof gewählt, der auf der Bühne des Bräustübles in Waltershausen entstanden war. In drei Etappen nahm die Flotte Bühne die Zuschauer mit auf eine Reise der poetischen Art.
Brechts Einheitsfrontlied
Am Beginn stand Bert Brechts Einheitsfrontlied, stilgerecht dargeboten von besenschwingenden Arbeitern in orangen Warnwesten. So pathetisch-kämpferisch dieser Text auch heute anmuten mag, so hat die Zeile „Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt, das schafft kein Essen her" gerade in der heutigen Zeit angesichts von Billiglohn und Minijob nichts von ihrer Brisanz verloren. Der „Abschied der Seeleute“ von Joachim Ringelnatz wurde von Joachim Schneider und Lutz Merten interpretiert, unterstützt von den Seemannsbräuten Anja Zuber-Bördlein und Claudia Dunkelberg, die in diesem Text das Verhältnis zu ihren Seeleuten doch recht locker sehen. Das Thema Seemann haben die beiden Seemannsbräute in ihrem anschließenden Andrew Sisters Song „Shoo, shoo“ vertieft. Für den richtigen Swing sorgten hierbei Andreas Bördlein am Bass und Nico Hofer an der Gitarre. Die zweite Etappe der poetischen Reise wurde von einem Klassiker, Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ umrahmt. Dieses Gedicht, dank seiner Länge der Schrecken vieler Schülergenerationen, wurde von Daphne Hanika und ihren halbwüchsigen Kindern Heike Hey, Tobias Hanika, und André Schömig auf witzige Weise in einem Zugabteil zum Leben erweckt. Leichter erschloss sich Robert Gernhardts „Der ICE passiert Günzburg“ – ein Text aus dem Herzen der fränkischen Provinz, der den Zuschauern von Andreas Bördlein und Lutz Mertten nahegebracht wurde.
Nach einer Stärkung die in bewährter Weise von Ingrid und Werner Lang in ihrem Bräustüble vorbereitet worden war, ging es in die letzte Etappe der Reise. Dabei bewies Tobias Hanika dass er auch als Huhn eine gute Figur macht, das jedoch, wie das Gedicht von Morgenstern darlegt, am Bahnhof an sich nichts zu suchen hat. Tierische Probleme hatte auch Joschi Schneider, als er versucht, eine nervige Fliege zu erschlagen, die der Hauptakteur von Robert Gernhardts „Kurze Rede zum vermeintlichen Ende einer Fliege" ist.
Kurz und knackig bringt Friedrich Rückerts „Erste und letzte Reise“ die altbekannte Aussage, dass es Zuhause doch am schönsten ist, auf den Punkt. Am Ende dieser letzten Reiseetappe stellten Claudia Dunkelberg, Anja Zuber-Bördlein, und Andreas Bördlein ihre Gesangsqualitäten unter Beweis.
Zeitgemäße Aufarbeitung
Der gut besetzte Veranstaltungssaal des Bräustübles bewies, dass Gedichte, diese uralte Kunstform, doch noch immer ein Publikum finden, zumal wenn die Texte so zeitgemäß aufgearbeitet werden wie von den Akteuren der Flotten Bühne.
Mitwirkende waren Andreas Bördlein, Sophie Bördlein, Claudia Dunkelberg, Daphne Hanika, Tobias Hanika, Heike Hartmann, Heike Hey, Nico Hofer, Lutz Mertten, Lea Reis, Joachim Schneider, André Schömig und Anja Zuber-Bördlein. Für die Technik zeichneten Günther Joachim, Tobias Johann, Wolfgang Klör, Timo Schmähling und Frank Wiesenmüller verantwortlich. Eine weitere Aufführung findet am 27. April statt.