Kein Event erhitzt in der Heimat zurzeit mehr die Gemüter als die sogenannten "Spaziergänge", die jetzt jeden Montagabend das Zentrum unseres schönen Industriestädtchens beleben. Impfskeptiker aller Couleur reisen an, um Seite an Seite kund zu tun, dass sie sich um die Gesundheit der geimpften Mehrheit sorgen. Dafür opfern sie ihre Freizeit. Dieses schöne Zeichen der Solidarität wird nicht von allen wertgeschätzt. So beklagen einige Gastronomen Umsatzeinbußen. Vielleicht würden "Spaziergänger" die Neuschter Kneipen ja sogar besuchen. Hinterher. Aber für Ungeimpfte gilt: "Wir müssen leider draußen bleiben".
Die Bewohner von Seniorenheimen fühlen sich dagegen an ihre Jugend erinnert. Verständlich! Vielleicht sollten die Anwohner den "Spaziergängern" einfach ein Heißgetränk anbieten. Es ist ja abends noch ziemlich kühl. Was die Ureinwohner besonders freut: Einige der Friedens- und Freiheits-Aktivisten kommen aus Thüringen, wie die Kfz-Kennzeichen verraten. Vielleicht haben sie die DDR-Diktatur noch selber erlebt und wissen es jetzt zu schätzen, in einem Rechtsstaat zu leben, der viel Geld ausgibt, um Minderheiten zu schützen.
Impfskeptiker sind eine Minderheit. Gott sei Dank! Fast 75 Prozent der Landkreisbewohner sind vollständig geimpft. Leider verzerren die "Spaziergänger" diese Tatsache. An Montagen spielen sie auf dem Neuschter Marktplatz "Mehrheit". Deshalb erwarten immer mehr Bürger von unseren Granden endlich Gegenwind. Nicht immer nur reden! Warum wird nicht längst unter der Schirmherrschaft von Landrat und Bürgermeister eine zentrale Großkundgebung der Impfbefürworter geplant? Und zwar eine, die nicht verschämt im Schutz der Dunkelheit stattfindet, sondern an einem strahlenden Sonntagvormittag. Natürlich!
Alle werden eingeladen: Feuerwehren, Vertreter der Kirchen, Vertreter der Wirtschaft, Vereine, Künstler – alle! Die Omikron-Welle flacht bald ab. Was spricht dann noch dagegen? Dann macht die bislang schweigende Mehrheit klar, wer der Hans ist – und wer das Hänschen. Natürlich sind auch Impfskeptiker herzlich eingeladen. Die haben jetzt ausgerechnet zwei Mediziner als "Versammlungsleiter" benannt. Beide wissen genau, was Corona anrichten kann. Vor allem auf überfüllten Intensivstationen. Die große Mehrheit ihrer Zunft fordert deshalb eine Impfpflicht.
Mal Klartext: In allen Naturwissenschaften tummeln sich gelegentlich Querdenker, die sich gegen die herrschende Lehrmeinung stemmen. Sie verrennen sich – und liegen fast immer falsch. Ein berühmtes Beispiel: der mehrfach für den Nobelpreis nominierte Physiker Ernst Mach. Er bestritt bis zu seinem Tod im Jahr 1916 die Existenz der längst nachgewiesenen Atome. Kam man ihm mit "Atomen", pflegte er gallig zu erwidern: "Hams welche g'sehn?"
Auch Wissenschaftler sind nur Menschen! Aber die wenigsten Querdenker sind Wissenschaftler. Und nicht alle "Spaziergänger" sind Rechtsextremisten, wie Karl Graf Stauffenberg, der Kreisverbandsvorsitzende der FDP, in seiner Stellungnahme treffend konstatierte. Es sind sicher auch FDP-Wähler darunter. Und nicht jeder Wahlberechtigte aus Thüringen wählt die AfD. Nur jeder Fünfte.
Das Problem: Wie soll man bei den "Mitläufern" die Spreu vom Weizen trennen? Lediglich Verschwörungstheoretiker ließen sich leicht aussortieren. Wie? Ganz einfach: Die Polizei müsste während des "Spaziergangs" nur per Lautsprecher verbreiten, dass sämtliche 5G-Sendemasten der Innenstadt 30 Minuten lang ihre Sendeleistung verdoppeln. Natürlich hat keiner seinen Alu-Hut dabei. Echte Verschwörungstheoretiker würden sofort davonrennen. Wetten? Wie die Hasen. Man muss sich das vorstellen.