Ein Herz aus Teelichtern, in der Mitte zwei Brautpaare. Kinder werfen Rosenblätter, dazu arabische Musik, die Gäste klatschen im Rhythmus, pfeifen, Frauen jauchzen heulend mit der Zunge – ekstatisch, freudig. Die Dreschhalle in Hollstadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) hat schon einiges gesehen: Eine kurdische Doppelhochzeit, wie sie diesen Juli dort gefeiert wurde, noch nicht.
Seit rund vier Monaten lebt die 15-köpfige syrische Familie Shekho aus Aleppo in einer dezentralen Unterkunft in Hollstadt und wartet auf ihre Anerkennung. Nun haben zwei der acht Kinder von Mutter Falak Belal und Vater Jalal Shekho im Schützenraum der Dreschhalle ihre Hochzeiten nachgefeiert.
Offiziell geheiratet hatten die Brautpaare, der 25-jährige Shekho-Sohn Mohammed mit Frau und die 18-jährige Shekho-Tochter Avin mit Mann, eigenen Angaben zufolge noch vor beziehungsweise während ihrer Flucht, erklärt Susanne Zumbrink-Glatter, die sich als Ehrenamtliche im Hollstädter Helferkreis um die Flüchtlingsfamilie kümmert. Gelegenheit zum Feiern hatten beide Paare nicht.
2014 flüchteten sie aus Syrien in die Türkei. Im Oktober 2015 stieg ein Großteil der Shekho-Familie, darunter die beiden Brautpaare, für 800 Dollar pro Kopf im türkischen Izmir in ein kleines Boot. Vier Stunden später gingen sie auf der griechischen Insel Samos von Bord, 16 Tage später kamen sie in Deutschland an, seit vier Monaten sind sie nun in Hollstadt. In Sicherheit. Nun wollten sie die Hochzeitsfeierlichkeiten nachholen.
Wenn der Schleier gelüftet wird
Wir treffen die Familie eineinhalb Wochen nach der Nach-Hochzeitsfeier in Hollstadt. Ursprüngliches Ziel dieses Treffens: die Geschichte, das Schicksal hinter dieser Hochzeit erzählen. Doch was der Journalistin begegnet, sind Bilder, keine Erklärungen. „Die Verständigung ist nicht immer ganz einfach“, hatte Zumbrink-Glatter schon vorgewarnt. Tatsächlich war diese Einschätzung optimistisch. Denn die Familie spricht kaum Deutsch, fast kein Englisch. Ein Dolmetscher? Zumbrink-Glatter vom Helferkreis, die es gewohnt ist, sich auf die eigenen Hände und Füße zu verlassen, lacht: „Nicht hier in Hollstadt.“
Wo die Sprache versagt, müssen Bilder sprechen. Videos und Fotos erzählen von den Feierlichkeiten: Zwei Brautpaare im Kerzen-Herz. Braut und Bräutigam stehen einander gegenüber, die Ringe wechseln vom rechten auf den linken Ringfinger, dann lüften die Bräutigame die Schleier der ernst dreinblickenden Bräute.
Am Ende ein zärtlicher Kuss auf die Stirn, Symbol dafür, dass der Mann die Frau als sein Schicksal annimmt. Ein Kuss, der das Paar auf ewig zusammenhalten soll – ergibt die spätere Internet-Recherche. Direkte Nachfragen sind wie gesagt nur über das Übersetzungstool des Smartphones möglich. Eine äußerst gewöhnungsbedürftige Kommunikationsform für Journalisten, die nach verlässlichen eindeutigen Aussagen streben.
Am Ende liegt sie dann doch vor, wenn auch bruchstückhaft: die Geschichte der Brautpaare, wie sie sich zugetragen haben könnte. Die heute 18-jährige Avin und der 27-jährige Shiyar kennen sich von Kindesbeinen an. Ihre Familien sind befreundet, geheiratet haben sie eigenen Angaben zufolge im Mai 2014 vor ihrer Flucht aus Syrien. Der 25-jährige Bruder Mohammed lernt die 23-jährige Iman aus dem syrischen Qamischli erst während der Flucht beim Arbeiten in der Türkei kennen, sie heiraten dort eigenen Angaben zufolge im Juni 2015.
Eigenen Angaben zufolge? „Keine Eheurkunde“, teilt Mohammed Shekho per Smartphone-Übersetzungstool mit. Beide Paare sind zwar unter der Angabe „verheiratet“ nach Deutschland eingereist und werden auch bei der Ausländerbehörde als verheiratet geführt, die Eheschließung haben sie anhand offizieller Dokumente bislang aber nicht nachgewiesen.
Tanzen statt sitzen und essen
Dass bei Flüchtlingen Dokumente fehlen, ist laut Felicitas Hein, Asylsozialberaterin der Diakonie im Landkreis Rhön-Grabfeld, keine Seltenheit. Aus datenschutzrechtlichen Gründen könne sie zu besagter Familie keine Auskünfte geben, doch mit dem Problem – Dokumente fehlen, weil sie auf die Flucht gar nicht erst mitgenommen wurden, verloren gingen, oder absichtlich zerstört wurden – ist Hein immer wieder konfrontiert. „Da gibt es keine einfache Lösung“, erklärt sie. Eigentlich müssten sich diese Familien an ihr Heimatland oder die Botschaft wenden und sich entsprechende Nachweise besorgen, was in der Praxis, vor allem bei der Eheschließung in Syrien, durchaus problematisch sei.
Für die Shekhos ist der Fall auch ohne Eheurkunde klar: Sie tanzten in der Hollstädter Dreschhalle zu „I?m your lady and you are my man“. Ihre Freude wollten sie mit möglichst vielen teilen und luden über den Helferkreis per Facebook „ganz Hollstadt“ zu den Feierlichkeiten. Ein paar wenige Einheimische waren dann auch tatsächlich gekommen. „Aber es hätten schon ein paar mehr sein können“, so Zumbrink-Glatters Resümee. „Die Einladung kam sehr kurzfristig“, erklärt Nicole Menninger, ebenfalls im Helferkreis aktiv, „außerdem hatte Hollstadt an diesem Wochenende Wallfahrt“.
Auch Zumbrink-Glatter und Bürgermeisterfrau Menninger vom Helferkreis waren zu Gast bei den Feierlichkeiten und begeistert von dem „wunderschönen Erlebnis“. Getanzt sei worden, immer wieder getanzt, bis in die Morgenstunden. „Ganz anders als bei vielen deutschen Hochzeiten, wo vor allem gesessen und gegessen wird.“ Zu essen gab es natürlich auch bei Familie Shekho, beispielsweise Fladen mit diversen Belägen, Mutter Falak Belal habe zwei Tage lang Tag und Nacht Vorbereitungen getroffen.
Die Kleider übrigens waren von einem befreundeten Schneider in der Türkei genäht worden. Eine Cousine von Nicole Menninger hatte die Bräute frisiert und geschminkt. „Fünf Stunden lang“, erzählt Nicole Menninger. „Die Frisörin war aufgeregter als vor jeder Prüfung“, schließlich sei die Verständigung schwierig gewesen und sie habe nicht gewusst, ob sie das Schönheitsideal dieser Kultur getroffen habe.
Als weitere Besonderheit des Abends nennt Zumbrink-Glatter die Tatsache, dass aus religiösen Gründen den ganzen Abend kein Alkohol ausgeschenkt wurde. Bis fünf Uhr morgens, signalisiert die Familie, gingen die Feierlichkeiten. „Nur!“, kann man aus ihrer Mimik lesen. So eine reguläre kurdische Hochzeit könne schon auch mal sechs Tage lang dauern.
Was sie sich nun für die Zukunft erhoffen? „Kinder“, witzelt die Familie, sechs, sieben oder acht pro Paar – nicht nur drei oder vier, wie scheinbar in deutschen Familien üblich. Dann werden sie ernst: „Wir wollen arbeiten, wir wollen Deutsch lernen. Wir nicht kommen, um zu schlafen.“ Zum Abschied tippt Mohammed Shekho eifrig ins Smartphone. Die Übersetzungs-App sagt: „Wir sind hier, um das deutsche Volk zu danken, und wir sind gegen Terroranschläge hier.“