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MELLRICHSTADT: „Ich kann solch lautes Grübeln der Kröte nur verübeln“: Zusammenspiel von Text und Ton

MELLRICHSTADT

„Ich kann solch lautes Grübeln der Kröte nur verübeln“: Zusammenspiel von Text und Ton

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    Brachten Text und Ton in Einklang: Für ein Text- und Klangerlebnis, wie es in Mellrichstadt noch nie zu hören war, sorgten (von links) Frank Stäblein, Janette Fraas, Urs John und Andreas Werner in der Gustav-Adolf-Kirche.
    Brachten Text und Ton in Einklang: Für ein Text- und Klangerlebnis, wie es in Mellrichstadt noch nie zu hören war, sorgten (von links) Frank Stäblein, Janette Fraas, Urs John und Andreas Werner in der Gustav-Adolf-Kirche. Foto: Foto: Fred Rautenberg

    Ein „Projekt“ nannte Pfarrer Andreas Werner das Unternehmen „Text und Ton“, das er zusammen mit Janette Fraas, Frank Stäblein und Urs John in der Gustav-Adolf-Kirche startete. Und es fällt auch schwer, der Darbietung einen anderen Namen zu geben. Denn es war weder nur ein Vorlesenachmittag oder eine Rezitation, noch war es eine reine musikalische Darbietung. Vielmehr war es beides gleichzeitig: Dichterische, grüblerische Texte von zum Teil schmerzhafter Melancholie, von Percussion-, Piano- und Celloklängen getragen, untermalt, interpretiert, zu enormer Wirkung verstärkt. Auf jeden Fall war es eine überwältigende Präsentation, wie das dichterische Wort zu ungeahnter Wirkung entfaltet wurde.

    Das lag nicht nur an Janette Fraas, der Ideengeberin der Veranstaltung, aber in besonderem Maße schon. Die zierliche Frau mit der unglaublich modulationsfähigen Stimme erwies sich als ein deklamatorisches Naturtalent, das den Hall des Kirchenschiffs mit seiner Stimme füll-te, das über das Mikrofon im Zusammenwirken mit Andreas Werner, dem Schlagzeug, dem Piano und dem Cello Klangerlebnisse wie aus einer anderen Welt erzeugte. Manche der Texte, die sie vortrug, besonders das Trakl-Gedicht „Klage“, klangen wie der Schrei des Geängstigten aus der Tiefe seelischer Verzweiflung. Zu diesem Gedicht passend spielte und sang Urs John als einzige bekannte Melodie im Programm das bekannte Kirchenlied „O Haupt voll Blut und Wunden“, virtuos improvisierend und extemporierend begleitet von Frank Stäblein an seinen Percussion-Instrumenten.

    Nein, diese Klänge konnten die beiden Instrumentalisten nicht in einer Partitur notiert haben, allenfalls Notizen als Gedächtnisstützen mochten ihnen signalisiert haben, wann, an welchen Textstellen mit welchen klanglichen Impromptu sie dialogisch, ergänzend, unterstreichend und den Text bis ins Ungeahnte steigernd einfallen sollten. Das ging unter die Haut, das nahm die Zuhörer mit in eine Sphäre jenseits des Alltags, das senkte sich ins Herz, um dort nicht so schnell wieder zu weichen.

    Nicht zu vergessen Andreas Werner, der sich mit seinen Mitstreitern auf das Experiment eingelassen hatte und der zugab, dass er selbst gespannt sei, wie das Klangerlebnis, wie er es nannte, ausfallen würde. „Die Akustik des Kirchenraums in voller Dynamik zu durchmessen, von Pianissimo bis Fortissimo“ versprach er den Zuhörern, und dieses Versprechen wurde wahrlich eingehalten. Er selbst trug mit seinen Beiträgen, mit seiner verhaltenen, angenehm männlich klingenden Stimme dazu bei, auch im Wechselgespräch mit Janette Fraas, zeigte dabei nicht weniger als seine Partnerin ein höchst sensibles Einfühlungsvermögen in den Sinn der Texte, die er vortrug, besonders eindrucksvoll in Morgensterns Gedicht „Des Galgenbruders Gebet und Erhörung“. Schwer, aber von Werner vollendet vorgetragen, darin die Verse „Ich kann solch lautes Grübeln der Kröte nur verübeln“ (gemeint ist der dumpfe Ruf der Kröte, der im Volksaberglauben als ein Totenruf gilt) – Verse, die als Leitmotiv dieser „Text- und Ton-Veranstaltung“ dienen könnten.

    Es gab auch gedämpft heitere Texte zu hören, so die vier Limericks von Edward Lear, die am Anfang und Ende die Präsentation einrahmten, oder Christian Morgensterns „Scholastikerprobleme“; es gab die wundervolle Hommage an die Mutter von Ingeborg Bachmann („Abends frag ich meine Mutter“), es gab auch das kindliche Vertrauen auf das göttliche Licht der Liebe im gleichnamigen Gedicht von Christian Morgenstern. Aber es gab auch das unendlich dunkle, fast verzweifelt klingende Gedicht „Wäre ich Gott“ von Astrid Lindgren, in dem die Dichterin an Gottes statt Ströme von Tränen weinen würde über die „armen Menschen“ in ihrer Verzweiflung, ihrer Trauer, ihrer Einsamkeit, ihrer Sündhaftigkeit, „über all die Todesschreie“ und ganz besonders über die Kinder.

    Einen großen Auftritt hatten die Instrumentalisten bei dem Gedicht „Glück“ von Josef von Eichendorff, das hellste Gedicht in seiner Aussage der verschiedenen Texte. Und doch wurde es in dieser Synästhesie von Text und Klang auf eine Weise interpretiert, die bei aller Glückserfahrung des Dichters über erfüllte Liebe doch auch wieder einen dunklen Unterton hatte.

    Ingeborg Bachmanns Gedicht „Reklame“ spielt auf unsere Oberflächlichkeit an, wie wir uns einlullen lassen von einer lügnerischen Werbung und Unterhaltungsindustrie, wie wir die existentiellen Fragen ausklammern, den Kopf in den Sand stecken vor der entscheidenden und endgültigen Frage: „Was aber geschieht / wenn Totenstille / eintritt“. Dieses Gedicht trugen Janette Fraas und Andreas Werner eindringlich im Wechselgespräch vor, und auch hier wirkungsvoll mitgetragen durch Frank Stäbleins und Urs Johns Begleitung.

    Den Höhepunkt der Vorträge bildete die längere Erzählung „Cello“ von Ferdinand von Schirach. In dieser Geschichte geht es um das Schicksal eines Geschwisterpaars, das durch die Verständnislosigkeit eines gefühlsrohen Vaters einen Lebensweg beschreitet, der verhängnisvoll in den frühen Tod führt. Die beiden, Schwester und Bruder, versuchen sich vom Vater zu lösen, gehen ihre eigenen Wege, haben trotz vieler Bekanntschaften nur sich selbst, sind auf einander fixiert bis zum Ende. Unfall und Krankheit bewirken, dass der Bruder zu einem körperlichen und geistigen Wrack ruiniert wird, dass er durch Gedächtnisverlust seine eigene Schwester nicht mehr als Schwester erkennt. Diese hält in treuer Liebe zu ihrem Bruder, pflegt ihn, bringt ungeheure seelische Opfer, bis sie die Last nicht mehr ertragen kann und ihren Bruder im Bad ertränkt. Sie bekennt sich zu dieser Tötung, gesteht alles dem Staatsanwalt, und als sie damit reinen Tisch ge-macht hat, erhängt sie sich in ihrer Zelle. Der Vater, als er vom Tod seiner Kinder erfährt, er-kennt den Anteil seiner Schuld und erschießt sich mit dem Revolver, den er von seinem eigenen Vater geerbt hatte.

    Zugegeben, an einigen Stellen, nicht nur bei Schirachs Erzählung, war es schwer, dem Textvortrag zu folgen, wenn die Percussion oder das Piano mit voller Klangstärke einsetzten. Aber dem Gesamtverständnis tat dies keinen Abbruch. Die Botschaft der Texte und des ganzen Nachmittags kam bei den Zuhörern sehr wohl an, eine Botschaft, getragen von einer Darbietung, wie sie ein professionelles Tonstudio nicht besser redigieren könnte. Die vier Künstler, wie man sie bezeichnen darf, erhielten am Ende einzeln und als Gruppe einen langen Applaus, dem man die Betroffenheit der Applaudierenden wohl anmerkte, der gleichwohl herzlich und dankbar war. Die Zuhörer hatten mit diesem Nachmittag etwas Unvergessliches und bisher Einmaliges erlebt. Ob es einmal eine Fortsetzung geben wird?

    Die freiwilligen Spenden, zu denen Pfarrer Werner für krebskranke Kinder aufgerufen hatte, flossen reichlich, wie ein Blick in das aufgestellte Körbchen verriet. Das Geld kommt der Station Regenbogen in Würzburg zugute.

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