Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Rhön-Grabfeld
Icon Pfeil nach unten
Bad Neustadt
Icon Pfeil nach unten

WARGOLSHAUSEN/HERSCHFELD: Ihre Waffe ist das Wort

WARGOLSHAUSEN/HERSCHFELD

Ihre Waffe ist das Wort

    • |
    • |
    Letzte Lagebesprechung mit Blick auf die Landkarte, bevor die UN-Militärbeobachter in Herschfeld – in diesem Fall zu Fuß – auf Patrouille gehen.
    Letzte Lagebesprechung mit Blick auf die Landkarte, bevor die UN-Militärbeobachter in Herschfeld – in diesem Fall zu Fuß – auf Patrouille gehen. Foto: Foto: Christian Hüther

    Samstagmorgen 9 Uhr im beschaulichen Wargolshausen. Eine Anwohnerin macht das, was viele zum Start ins Wochenende machen: Straße kehren und jetzt im Herbst vom lästigen Laub befreien. Einen Katzensprung entfernt im „Haus des Gastes“ herrscht in diesen Tagen gefühlt aber eine ganz andere Welt. Vor der Tür stehen etliche Fahrzeuge der Bundeswehr, Fahnen diverser Länder sind aufgestellt, an der Gebäudefront prangt die blaue Flagge der Vereinten Nationen. Wo sonst gefeiert wird, laufen aktuell alle Stränge der Großübung „Blue Flag“ zusammen – eine Übung des Vereinte Nationen Ausbildungszentrums der Bundeswehr aus Hammelburg.

    Abschluss in Rhön-Grabfeld

    Diese Übung unter dem Namen „Blue Flag“ bildet den Abschluss des multinationalen Militärbeobachter-Lehrgangs. Blauhelmsoldaten befinden sich sozusagen im Handlungstraining – und das auch schon öfter in den vergangenen Jahren im Kreis Rhön-Grabfeld.

    Warum genau dort? „Die Zuständigen und Entscheidungsträger der vergangenen Jahre kamen entweder von hier oder hatten jeweils gute Kontakte in verschiedene Ortschaften im Kreis Rhön-Grabfeld“, erklärt Oberstleutnant Wieser. Außerdem ist die Entfernung zur heimischen Saaleck-Kaserne in Hammelburg überschaubar und die Vorgabe wird eingehalten, dass die Übungen außerhalb des Sperrradius von mindestens zehn Kilometer zur Kaserne stattfinden dürfen.

    Liebe zum Detail

    Im Haus des Gastes herrscht schon am Morgen konzentrierte Arbeitsstimmung. Abgetrennt mit Stellwänden koordinieren die verschiedenen Abteilungen den Ablauf der Übung. Sogar eine eigene Zeitung wird herausgebracht, auf jedes Detail wird geachtet, um der Realität so nahe wie möglich kommen.

    Und doch ist bei „Blue Flag“ in diesem Jahr vieles neu. „Im vergangenen Jahr hat Deutschland bei einer Konferenz der Verteidigungsminister in Vancouver zugesagt, den Anteil von Frauen als Militärbeobachterinnen in US-Missionen zu erhöhen“, erklärt Sebastian Vogt, Oberleutnant und Presseoffizier.

    Gesagt getan. Waren es bei den vergangenen Übungen nur ein bis zwei Frauen, sind es diesmal in der Rhön 22 zukünftige Militärbeobachterinnen – ein bisher einmaliges Pilotprojekt, mit dem das Ausbildungszentrum einen wichtigen Beitrag im Rahmen der Vereinten Nationen leistet.

    Insgesamt befinden sich an den verschiedenen Übungsstandorten von Strahlungen bis Hendungen rund 200 Menschen, darunter 17 Ausbilder und 41 Lehrgangsteilnehmer. Diese kommen aus 28 Nationen, beispielsweise aus Chile, Brasilien, Pakistan, Jordanien, Nigeria, Sri Lanka oder dem Libanon. Der Großteil (19) stammt aus Deutschland. Die Verantwortlichen werden so vor neue Herausforderungen gestellt. Beispiel: Eine Teilnehmerin aus Jordanien verweigert einem Offizier den Handschlag zur Begrüßung, weil das in ihrem Zuhause so nicht üblich ist. Die kurze Konfliktsituation wird aber schnell geklärt.

    Parkplatz mit Absperrung

    Ortswechsel. Ungewohnte Bilder am Sportgelände des SV Herschfeld. Der große Kiesparkplatz ist in der Mitte durch eine Absperrung geteilt. Vor dem Gebäude stehen verschiedene weiße UN-Geländewagen, auch hier weht vor dem Gebäude die UN-Flagge. Ein Bundeswehroffizier lässt ohne Rücksprache und entsprechende Genehmigung keine fremden Personen ins Sportheim. Der Grund: Dort hat sich seit vergangenem Donnerstag eine der beiden Übungsgruppen (die andere befindet sich in Aubstadt) einquartiert und das Sportheim in Beschlag genommen. Dort, wo sonst die Kegler angefeuert werden, haben die männlichen Übungsteilnehmer ihr Schlafreich eingerichtet, die Frauen schlafen eine Etage höher. Das Sportheim selbst ist mit grünen Tarnnetzen in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Auf einer großen bunten Landkarte können die Teilnehmer die Umgebung überblicken. Reale Straßennamen werden mit Farben und weiteren Zusätzen beschrieben, alles in englischer Sprache, wie die gesamte Übung.

    Schüsse in der Umgebung

    Die Teilnehmer dort hat am Morgen bereits der sogenannte „Warlord“ besucht, ein Anführer der beiden fiktiven Konfliktparteien in dieser Übung, die ab und an den ausgehandelten Waffenstillstand brechen. Eine Patrouille bekommt kurz darauf einen neuen Auftrag. In der Nacht gab es in der näheren Umgebung Schüsse. Die Teilnehmer sollen nun zu Fuß die Umgebung absuchen und die Lage beurteilen. „Sie werden in diesem Fall auch irgendwo eine Leichenattrappe in Form einer Puppe finden“, erklärt Vogt.

    Die Polizei ist natürlich vorab in die Übung eingeweiht, sollte die Bevölkerung beunruhigt sein und vermeintliche Vorfälle melden. Das Besondere bei der Mission der Blauhelme: „Sie sind unbewaffnet – ihre Waffe ist das Wort“, erklärt es Oberst Werner Klaffus, Kommandeur des Ausbildungszentrums. Die Teilnehmer werden dann nach Abschluss des Lehrgangs weltweit in Krisenregionen entsandt, um dort zur Stabilisierung der Sicherheitslage beizutragen.

    An diesem Vormittag ist auch Stephanie Philipp-Schirmer, die Vorsitzende des SV Herschfeld und quasi Hausherrin, vor Ort in der „realen Welt“. Der erstmaligen Anfrage der Bundeswehr, die Räume für die Übung nutzen zu dürfen, stand sie sofort positiv gegenüber. „Man muss auch einmal fördern und nicht immer nur fordern“, sagt sie, trotz einiger kritischer Stimmen innerhalb des Vereins im Vorfeld. So musste sie beispielsweise die Trainingseinheiten der Kegler verlegen oder auch den WLAN-Hotspot im Vorfeld ausschalten und weitere Vorkehrungen treffen. Das habe sie aber gern getan für dieses tolle Projekt, gerade in diesem Jahr mit vielen Frauen. Eine Wiederholung im kommenden Jahr ist daher wahrscheinlich. Sehr zur Freude der Bundeswehr, die diesen Mittwoch ihre Zelte wieder abbricht.

    Gelassene Bevölkerung

    Denn auch ein Großteil der Rhöner Bevölkerung sieht diese Übung im Gegensatz zu Menschen in den Großstädten mehr als gelassen, wie man von den Verantwortlichen hört. Und das spürt man. An diesem Samstagvormittag trudeln diverse Eltern mit ihren Kindern am Sportgelände ein. Das U9-Spiel von Herschfeld gegen Sondheim/Grabfeld steht an, trotz der Anwesenheit der Bundeswehr. „Die Absperrung haben wir wegen der zu erwartenden Hooligans eingerichtet, das ist heute hier ein Hochsicherheitsspiel“, witzelt der „Mann an der Schranke“ zu den Eltern der Sprösslinge. Kein Wort des Grolls von diesen. Es zeigt die entspannte Stimmung, die die dann ausgebildeten, zukünftigen UN-Militärbeobachter leider nicht überall so vorfinden, wie in der Rhöner Idylle.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden