
Natascha Wellstein ist ganz in die Musik versunken. Die Klänge, die sie aus ihrem Instrument zaubert, hören sich im ersten Moment fast fremdartig und doch vertraut an. Wenn man sie beschreiben sollte, so wäre der Begriff "näselnd" wohl passend. Die Viella oder Fidel die sie spielt, ist ein typisches Instrument aus dem Mittelalter bzw. der frühen Neuzeit. Charakteristisch für dieses Instrument ist der bezaubernde Klang: Wohl auch deshalb war sie eines der wichtigsten Instrumente der Troubadoure und Minnesänger. Die Viella ist in der heutigen Zeit leider nicht mehr allzu oft zu hören. Allein das wäre schon etwas Besonderes. Aber das eigentlich Außergewöhnlichste ist, dass Natascha Wellstein das Instrument selbst gebaut hat.
"Beruflich bin ich Physiotherapeutin in der Neurologischen Klinik in Bad Neustadt", erzählt die Wahl-Sälzerin. Für sie ist der Instrumentenbau ein Hobby, das ihr über die Jahre sehr ans Herz gewachsen ist. "Die ersten 'schönen' Instrumente habe ich 2002 gebaut, die zwei Exemplare, die ich zuvor aus Sperrholz gebaut hatte, zähle ich da nicht dazu", sagt Wellstein mit einem Schmunzeln. Die Wände an ihrem Musikzimmer zieren neben der Viella auch eine barocke sowie eine moderne Geige, eine Bassgambe sowie eine Diskantgambe. Links in der Ecke ist auch ein Psalter zu sehen, eine dreieckige Zitter ohne Griffbrett, die ihre Hochzeit im Mittelalter hatte.
Lieber Instrumente bauen als tanzen
"Die Viella war eigentlich recht leicht zu bauen. Sie hat eine flache Decke und einen flachen Boden, außerdem keine Ecken, so dass man sie in einer Woche bauen kann", erläutert Natascha Wellstein und blickt auf ihr Instrument. Sie kann sich noch genau daran erinnern, wie damals alles angefangen hat. Auf Burg Rothenfels im Spessart machte sie vor vielen Jahren einen Tanzkurs, der ihr eigentlich auch gut gefiel. "Als ich ins Programmheft schaute, sah ich, dass hier auch Instrumentenbau-Kurse angeboten werden. Das fand ich interessant, und so belegte ich einen", erinnert sich die Sälzerin zurück.

Sie hatte zwar bisher noch nie mit Holz gearbeitet, die Liebe zur klassischen Musik und zu den Instrumenten war ihr aber mit in die Wiege gelegt worden. Ihre Mutter spielt Waldhorn und Blockflöte, ihr Vater Klarinette. "Sein Motto lautet Instrumente kann man nie genug haben", sagt Wellstein. Sie selbst begann mit 14 Jahren Geigenunterricht zu nehmen, vorher spielte sie Blockflöte. Später lernte sie dann noch Trompete. "Aber alles für den Hausgebrauch", sagt sie bescheiden. Der klassischen Musik blieb sie auch als Hörerin treu. Sie liebt die Musik aus der Zeit der Renaissance, "diese hat einen ganz besonderen Klang", findet sie. Für sie ist diese Musik eine Art "Seelenmusik", bei der sie den Alltag vergessen kann.
Handwerkliche Arbeit macht einfach Spaß
Doch neben dem Hören von klassischer Musik ist ihr auch das Herstellen von Instrumenten wichtig. "Das handwerkliche Tun macht mir einfach Spaß", sagt die Liebhaberin der klassischen Musik. Vorher habe sie mit Holzbearbeitung nichts am Hut gehabt, die Faszination dafür habe sich einfach ergeben.

Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt, heißt es in einem Sprichwort. Umso mehr gilt das für den Instrumentenbau. Wie Wellstein erläutert, sei es notwendig, dass man ein Gefühl für den Werkstoff Holz entwickele. "Man lernt, das Holz zu deuten. Es ist wichtig, es in der richtigen Richtung zu bearbeiten und dabei der Maserung zu folgen", beschreibt Wellstein ihre Erfahrungen. Und natürlich auch, wie man die Werkzeuge richtig einsetzt und schärft. Wie man hobelt und schnitzt, ohne dass das Holz ausreißt.
Gutes Holz ist das A und O
Wichtig ist außerdem, dass das Holz gut abgelagert ist, dies kann 30 bis 35 Jahre dauern. Für ihr neues Projekt hat sie sich schon ein besonders schönes Holz ausgesucht. "Bei der Decke der modernen Geige handelt es sich um einen Fichtenbalken aus einem 100 Jahre alten Bauernhaus aus der Gegend von Miesbach", schwärmt die Instrumentenbauerin. "Nördlich der Alpen wächst die Fichte sehr langsam und bildet dadurch sehr feines Holz aus", weiß Wellstein zu berichten.Günstig ist es allerdings nicht. Für ein Instrument in Geigengröße muss man allein 350 Euro für das richtige Holz einrechnen. Steg, Saiten und Wirbel kosten extra.

Beim Bauen von Instrumenten ist Natascha Wellstein Perfektionistin. Selbst die Wirbel stellt sie selbst her. Hierfür hat sie bei Drechsler Andreas Scholl extra Unterricht genommen. Die Kurse auf Burg Rothenfels besucht sie weiterhin. "Für meine erste Geige brauchte ich fünf Kurse dieser Art", sagt sie. In der Werkstatt könne sie dabei den ganzen Tag arbeiten, sie nehme sich dafür extra Urlaub und fährt gemeinsam mit ihrem Mann dorthin. Am Anfang habe sie schneller gebaut, "doch ich stellte fest, dass ich nicht die ganze Wohnung mit Instrumenten voll stellen kann", sagt sie ironisch. Und so lässt sie sich jetzt mehr Zeit und arbeitet die Details noch mehr aus. Bei ihrer letzten Gambe, die eigentlich korrekt "Viola da Gamba" heißt, fertigte sie eine durchbrochene Schnecke und arbeitete Rosetten ein. "Das ist allerdings reine Verzierung und eher Zeitvertreib. Für den Klang notwendig ist das eigentlich nicht."
Doch abgesehen davon sind die Arbeiten an den Instrumenten sehr komplex. Fast alles muss mit der Hand erledigt werden, nur das Aussägen der groben Formen geschieht an der Bandsäge. "Das richtige Hobeln ist sehr wichtig und auch das Biegen der Formen über dem heißen Eisen", erläutert die Instrumentenbauerin. Wenn man sich überlegt, dass eine Geige an ihrer dünnsten Stelle nur 1,7 Millimeter dick ist, dann kann man sich ausrechnen, mit wie viel Gefühl man an die Sache herangehen muss.

Der ideelle Wert ist groß
Natascha Wellstein arbeitet aber auch außerhalb der Kurse daheim. Hier sägt sie unter anderem Rosetten aus und hat sich spezielle Werkzeuge gekauft. Verkaufen würde sie ihre geliebten Instrumente aber nicht. "Für mich haben sie einen großen ideellen Wert", meint sie. Und sie freut sich immer wieder darauf, die eigenen Instrumente spielen zu können. Dafür hat sie extra Gambenunterricht genommen. Und auch für die Zuhörer ist es ein musikalischer Genuss, den Klängen dieses doch eher seltenen Instruments zu lauschen. Vor allem, wenn man weiß, dass Natascha Wellstein die Gambe selbst angefertigt hat und welche handwerkliche Präzision dafür notwendig war.