(frr) Große Betroffenheit herrschte bei der jüngsten Folge von „Mellrichstadt liest“ am vergangenen Sonntag im Café Art. Die Besucher trauerten um Moderator Rudi Glaesner, der am Tag zuvor gestorben war. Fred Rautenberg, der gemeinsam mit Glaesner die Veranstaltungsreihe moderiert hatte, gedachte zu Beginn in persönlichen Worten seines verstorbenen Kollegen und Freundes und würdigte ihn als einen Menschen, den er bewunderte, der alles, was er anpackte, gut machte. So auch „Mellrichstadt liest“. Alle Anwesenden gedachten des Verstorbenen in einer Schweigeminute.
Es wurde dennoch ein literarisch spannender Vorlesenachmittag, ganz im Sinne von Rudi Glaesner, und das lag an den drei Heimatdichterinnen Erika Jeger aus Eyershausen bei Bad Königshofen, Cilli Pigor aus Unsleben und Bärbel Wolf aus Waldberg, die den zahlreich erschienenen Besuchern aus ihren eigenen Werken vorlasen. „Heimatdichter – Provinzautoren“ lautete das Thema, das Rudi Glaesner selbst noch mit vorbereitet hatte.
Menschliche Torheiten
Den Auftakt machte Erika Jeger. In ihren Gedichten stellte sie auf witzige Weise Alltagssituationen und Gegebenheiten aus dem Leben dar. Beispiele dafür waren „Der Name“, das Wintermotiv in „Eiskalt erwischt“ oder die Krankheit in „Grippe 98“. Auch kritische Töne waren zu hören, so etwa in „Der Mensch, ein Überlebenskünstler oder Der Untergang“, „In der Hölle wird es eng“ und „Die Gier“. Hier nennt Erika Jeger menschliche Torheiten und Verfehlungen beim Namen und fordert witzig, aber mit ernstem Unterton: „Wir Menschen haben's wirklich schwer! Ein neues Paradies muss her!“
In „Mutter sein dagegen sehr“ zählt sie auf, wie eine Hausfrau eingespannt ist in eine Fülle von Pflichten. Da sprach die Erfahrung einer gestressten Mutter aus dem Gedicht, besonders aus der letzten Strophe: „Weihnachtsfeier, Osternest, die Mutter arrangiert das Fest, und wär am Heilig Abend froh, läg sie als Kindlein in dem Stroh“.
Ganz anderer Art waren die Erzählungen von Bärbel Wolf. Neben empfindsamen, lyrischen Naturschilderungen stellt sie liebevolle Karikaturen der kauzigen Rhöner vor. Zur Charakterisierung tragen auch Aussprüche im Rhöner Dialekt bei. Eine Stimmungsskizze ist die Beschreibung des Blicks auf das Nebelmeer hoch oben vom Kreuzberg aus in „Ein Traum“. Sympathie für ihre Mitbewohner drücken die kurzen Texte aus, die Titel tragen wie „Sophie“, „Der Bote“, „Josef im Tal“ und „Im schönsten Wiesengrunde“.
Auch die Erzählungen „Ungesammelt“ und „Das Missverständnis“ stellen Rhöner Originale in den Mittelpunkt, wobei der Humor nicht zu kurz kommt. Die Zuhörer spendeten Applaus, als Moderator Rautenberg feststellte, dass Bärbel Wolf ihre Heimat und deren Menschen mit den Augen einer Liebenden betrachtet.
Cilli Pigor war die Dialektpflege schon früher, etwa in ihrer Zeit als Heimatpflegerin, ein großes Anliegen. Alle ihre dichterischen und erzählerischen Werke sind in Mundart verfasst. Auch sie bezieht einen großen Teil ihrer Motive aus dem Bereich des Alltags, der Rhön und ihren Menschen. Mit humorvoller Selbstironie ausgestattet sind „Ausmistes“ und „Einbauköche“.
Sie erzählt humorvoll von einer Rhöner Sekretärin, die mit dem Namen „Pigor“ nichts anfangen kann (in „Die Beschdellung“) oder von einem Fotograf, der aus dem Ablichten einer gewöhnlichen Küchenschelle eine Staatsaktion macht (in „Hooseblumme“). Männliche Galanterie gegenüber der Erzählerin wird enthüllt in „Komblimende“ (und die Komplimente fallen unfreiwillig komisch aus). Das Thema Gesundheit und Kosten für das Gesundheitswesen greift die Erzählerin auf in „Hexeschuss“ und in „Bloß e Küfferle“. Eine nachgerade grotesk-lustige Geschichte ist die von „Hiegeknallt“ – sie sorgte für Gelächter bei den Zuhörern. Den krönenden Abschluss des Vortrags von Cilli Pigor bildete ein Gedicht, dass ein Wortspiel betreibt mit „Bauerfrau“ und „Powerfrau“.
Applaus für junge Musiker
Applaus gab es auch für die Achtklässler vom Martin-Pollich-Gymnasium, die musikalische Zwischeneinlagen dargeboten hatten. Neben Burkard Euring mit seinem Chopin-Walzer in cis-moll spielte Lea Hartmann „River flows in you“ aus dem Film „Twilight“ und Alexander Neugebauer einen Satz aus der Sonate in G-Dur von Beethoven. Ihr Musiklehrer Heinz Pallor hatte eine besondere Überraschung am Schluss zu Ehren seines verstorbenen Kollegen Rudi Glaesner: Die Buchstaben g, a, e und es aus dessen Namen aufgreifend und in die Töne der Tonleiter umsetzend, variierte er dieses musikalische Motiv aus dem Stegreif in freier Improvisation am Klavier.
Am Ende dankte Rautenberg allen Aktiven und überreichte den drei Dichterinnen ein kleines Geschenk und den drei jungen Musikanten einen Gutschein des Vereins „Aktives Mellrichstadt“. Mit der Einladung zum nächsten Vorlesenachmittag im März schloss Rautenberg die Veranstaltung. Der genaue Termin wird noch bekannt gegeben, das Thema aber steht schon fest. Es lautet: „Glück – ein seltsam Ding“. Wer einen Vorlesebeitrag zu diesem Thema leisten möchte, meldet sich bei Fred Rautenberg.