Der schnuckelige Schaukasten erfüllt dennoch nicht nur einen Selbstzweck, sondern ist eingebettet in ein wichtiges Konzept des Hauses, das vor allem Beschäftigungs-Mitarbeiterin Sonja Müller mit wahrer Begeisterung umsetzt. Dabei geht es vorrangig darum, die Erinnerung der Bewohner und damit Reaktionen zu aktivieren, ein Aspekt, der speziell für Demente von besonderer Bedeutung ist.
Wenn die Leistung des Gehirns nachlässt und der Mensch über direkte Ansprache mitunter gar nicht mehr zu erreichen ist, kann es hilfreich sein, vertraute Gegenstände oder Anblicke anzubieten. Deshalb finden sich eigentlich überall im Altenheim bewusst höchst altmodische, aber urgemütliche Sitzecken oder Erinnerungsstuben.
Ein kleines Wohnzimmer erweist sich dabei als echte Fundgrube. Da haben die Mitarbeiter, angesteckt von Sonja Müller, auf ihren Dachböden, bei ihren Großmüttern oder auf dem Flohmarkt gekramt und lauter Uraltgegenstände zusammengetragen, von alten Waschpulverreklamen über den Schuhputzkasten bis zu Häkeldeckchen.
Ein Ausflug aus dem geschützten Bereich oder dem Zimmer hierher bringt mitunter Leben in die teilnahmslos gewordenen Geschöpfe. Bekommen sie eine Kaffeemühle aus ihrer jungen Hausfrauenzeit in die Hand, wissen sie genau, wo die Bohnen hineinkommen, die dann kleingekurbelt werden. Bei der Knopfsammlung muss man ein wenig aufpassen, dass man nur größere nimmt, weil Demente vieles in den Mund stecken und kleinere Knöpfe verschlucken könnten. Aber mit ein bisschen Glück erwischt man genau die Farbe und Größe, die die Erinnerung an einen gern getragenen Mantel zurückbringt.
Eine gute Möglichkeit, der eigenen Vergangenheit wieder zu begegnen, und Impuls für eine Mitteilung an die Umgebung sind die vielen Uhren aus den unterschiedlichsten Epochen. Wenn sie so nacheinander klingeln, dämmert es gelegentlich, dass genau dieser Ton vor etlichen Jahrzehnten ins eigene Leben gedrungen ist.
Weil die biografische Arbeit schon immer ein Steckenpferd von Sonja Müller war, machte sie sich im Anschluss an eine Fortbildung gezielt ans Werk und weckte die Sammelleidenschaft im Kreis ihrer Kollegen – mit sichtbarem Erfolg. Im Umgang mit den Dementen zeigt die Erfahrung, dass für die Aktivierung des Gedächtnisses jeweils zehn Minuten am Vormittag und am Nachmittag ausreichend sind. Es müssen nicht unbedingt Altenheim-Mitarbeiter sein, die sich damit beschäftigen. Aus gemeinsamem Erleben haben die Angehörigen oft den direkteren Draht, außerdem können sie sich in der Regel mehr Zeit nehmen.
Außer alten Gegenständen führt der Weg durch die Demenz auch über andere Sinneswahrnehmungen, im Snoezelen-Raum über Gerüche, Lichteffekte und Musik oder an verschiedenen Stellen des Hauses über Tastwände, an denen zum Beispiel Naturmaterialien wie Stein, Holz oder Tannenzapfen erfühlt werden können.
Über all diese Angebote hinaus weiß Sonja Müller noch etwas mit großer Wirkung: Verlorenes Leben kehrt zurück, wenn Kindergartenkinder zu Besuch kommen. Und das dürfte ruhig öfter mal der Fall sein.