Im Gegenteil, in dem Artikel wird das Teilstück der A 71, das durch Nordbayern führt und mit fahrbahnnahen Betonwänden bestückt ist hinsichtlich seines Gefahrenpotentials nicht nur falsch eingeschätzt, sondern von zitierten Fachleuten im höchsten Maße fahrlässig heruntergespielt. Im o. g. Artikel beziehen Sie sich auf die Auskunft der Autobahndirektion Nordbayern, danach verläuft die A 71 zwischen Maßbach und Bad Kissingen auf 10 Kilometern durch ein Trinkwasserschutzgebiet der zweithöchsten Kategorie. In diesem Bereich kommen die 4 Fahrspuren der A 71 einem Todeskanal gleich, dessen potentielle Gefährdungsmomente in keinster Weise erkannt wurden.
Im Zusammenhang mit dem Unfall am 06. April wird der Landrat Thomas Bold in einer Pressemitteilung zitiert, der allen am Rettungseinsatz beteiligten Organisationen Anerkennung und Dank ausspricht. Das kann ich als Beteiligter nur unterstreichen. Der Landrat wird weiter zitiert mit den Worten: „dass die Erfahrung aus der Großübung A 71 vor zwei Jahren den Rettungskräften eine große Hilfe gewesen sei.“ Überträgt man diese Erfahrung auf die jetzt eingetretene Unfallsituation und auf die Ursachen der Massenkarambolage und versucht die Erfahrungen daraus für die Zukunft umzusetzen, dann darf man vor den Gefahren, die von dieser Autobahn ausgehen die Augen nicht schließen. Im übertragenen Sinne war diese Massenkarambolage am Sonntag, den 06.04.08 eine echte Großübung mit realem Hintergrund und es wäre sträflich, die Erkenntnisse daraus nicht auszuwerten.
Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten und meine Beobachtungen hier zur Diskussion stellen: In diesem fast milden, teilweise sonnigen Sonntagnachmittag kurz vor 13 Uhr waren sehr wenige Fahrzeuge auf der A 71 unterwegs. Es ist die Zeit für Mittagessen bzw. Mittagsruhe. Ich war in einem voll besetzten Auto unterwegs von Meiningen nach Frankfurt an den Flughafen. Wir hatten größtenteils eine trockene Fahrbahn und absolut gute Fahrbahnverhältnisse. Nach der Ausfahrt Maßbach Richtung Süden hat Blitzeis die Autobahn in Sekunden in eine unbeherrschbare Rutschbahn verwandelt. Als wir an diesem gefährlichen Teilstück zwischen Maßbach und Bad Kissingen eintrafen, waren bereits die ersten Fahrzeuge ineinander geschlittert, links und rechts der Fahrbahn standen Fahrzeuge und behinderten die Durchfahrt. Links der Überholspur ist absolut kein Platz, es beginnt sofort die Betonmauer. Rechts ist eine Standspur, die direkt durch eine rechte Betonwand begrenzt wird. Wenn also links und rechts Fahrzeuge stehen, dann bleibt nur ein Fahrstreifen übrig, um ein Fahrzeug zu stabilisieren und hindurchzulenken. Das ist bei solchen Straßenverhältnissen völlig unmöglich. Wer links zum Stehen kommt, hat keinerlei Mittelstreifen zur Verfügung, kann also nicht ausweichen, kann nur abwarten, bis er von hinten abgeschossen wird. Wer rechts zum Stehen kommt, kann seine Fahrgäste auf der rechten Seite nicht aussteigen lassen, das heißt, alle müssen auf der linken Seite das Auto verlassen und sind damit in höchster Gefahr, vom nachfolgenden Verkehr überfahren zu werden.
Als wir im Gefahrenbereich eintrafen, hatte der Niederschlag bereits aufgehört. Der Eisregen hatte in die Fahrbahnwanne eine 4-5 cm hohe Eisschicht abgelegt, die auch durch die durchfahrenden Fahrzeuge nicht zur Seite gewirbelt werden konnte, weil die Betonbegrenzung sie immer wieder in die Betonwand zurückgeworfen hat. Der altbekannte bepflanzte Mittelstreifen hat hier eine sehr wichtige Funktion übernommen. Dies hat man im europäischen Ausland offensichtlich erkannt und legt sogar bei modernen Autobahnbauten die Mittelstreifen noch breiter an. Die aufgewirbelte Schnee-, Eis- und Wassergischt kann im Mittelstreifen wie von einem Schwamm aufgenommen werden. Dies ist hier absolut nicht der Fall. Die hochkritische Gefahr wird konstruktionsbedingt lange aufrechterhalten. Gleichzeitig hat ein tiefgestaffelter Mittelstreifen die Möglichkeit, dass ein Auto, das in der Fahrbahnmitte gestrandet ist, den Insassen einen gewissen Fluchtpunkt ermöglicht und dem Fahrer die Chance gibt, das Auto so weit wie möglich aus dem Gefahrenbereich heraus abzustellen.
Nun kann man sehr intensiv darüber diskutieren, ob eine Betonwand von 1,15 m hoch oder niedrig ist. Die Praxis am Sonntagnachmittag hat gezeigt, dass viele Menschen sich sehr schwer getan haben über diese Barriere hinwegzuklettern. Ich möchte in diesem Zusammenhang die Äußerung des Sachbearbeiters Verkehr bei der Polizei in Bad Kissingen, Herrn Lothar Manger noch einmal zitieren, der in Ihrem Artikel davon spricht, dass die meisten Leute Scheu hätten, sich beim Überwinden der Betonmauer schmutzig zu machen. Diese Aussage ist völlig unsachlich und entspricht nicht den Realitäten, die in einem solchen Chaos eintreten. Man stelle sich vor, wie ein älterer Mensch, wie ein Behinderter, wie eine Mutter mit Kindern oder wie ein Teilverletzter versucht in kürzester Zeit diese Betonmauern zu erklimmen, um sich aus dem Gefahrenbereich zu retten. Meine Tochter und meine Schwiegertochter haben am Sonntagnachmittag zwei Frauen genötigt, über diese Mauer zu steigen. Kaum, dass sie das Hindernis überwunden hatten, ist ein nachfolgendes Fahrzeug in den abgestellten Pkw hineingedonnert, vor dem sie gerade Momente zuvor noch gestanden hatten. Bei einer solchen Massenkarambolage haben sie keine Zeit, sich nach einer Überstiegshilfe im Abstand von 200 Metern umzusehen. Das Mindeste was wir von der Autobahndirektion erwarten dürfen ist, dass umgehend und schnell Hinweisschilder aufgestellt werden, die auf diese kaum erkennbaren Überstiegshilfen hinweisen. Das kann keine Sache sein, die man prüfen will, sondern das muss dringlich geschehen. Überstiegshilfen in 200 m Abstand, das ist deutlich zu wenig. Nach meiner Erkenntnis müssten diese Überstiegshilfen alle 50 m eingearbeitet werden.
Eigentlich war zu diesem Zeitpunkt als der Unfall passierte sehr wenig Verkehr. Man stelle sich vor, dieser Vorfall wäre in Stoßzeiten, z. B. an einem Montagmorgen eingetreten. Man stelle sich weiter vor, es wären noch einige 30 Tonner Lkw’s in diesen Unfall verwickelt gewesen. Wir hätten nicht mehr von einer Massenkarambolage, sondern von einem Inferno sprechen müssen. Und hier sind wir bei einer weiteren potentiellen Gefahr dieser fahrbahnnahen Betonwände. Käme in solch einer Situation, und das Szenario ist durchaus realistisch, 1, 2 oder mehrere Lkw’s ins Schleudern, sie würden wie in einem Kanal geführt in die havarierten Fahrzeuge hineingeleitet. Verletzte, Insassen oder auf der Fahrbahn befindliche Personen hätten keine Chance, sie würden niedergewalzt werden.
Und an dieser Stelle wird es erst recht tragisch, dass diese Betonwände schwer überwindlich sind. In diesem Moment zählen mehr noch als am Sonntag Sekunden. Und selbst der Sportlichste kann es unter Umständen nicht schaffen, in Sekunden eine Familie aus einem havarierten Fahrzeug heraus zu retten und mit Kindern, Frau oder Oma diese Barriere zu überwinden. In diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass das Material Beton nicht total starr sei und nachgeben könne, ist schon keine Ironie mehr, sondern Volksverdummung im höchsten Maße.
Stellen Sie sich dennoch vor, Sie haben mit Ihren Insassen in einer solch dramatischen Situation die Betonwand erklommen, dann stehen Sie zwei Meter hinter der Mauer an einem Wildzaun, der keine Ausweichmöglichkeit gibt. Wir haben dann versucht, die Böschung zu erklimmen. Diese war jedoch dermaßen steil, dass sie einmal nass oder gar eisverregnet völlig unerklimmbar war. Sie bleiben also direkt neben der Fahrbahn stehen und hoffen, dass Sie von keinen der herumfliegenden Fahrzeugteile getroffen werden. Für mich völlig unklar ist, wie man sich mit mehreren Personen auf der Mittelfahrbahnwand absichern soll.
Ich war dabei, als ein Mensch aufgrund dieser tragischen Umstände auf der Autobahn starb. Ich habe gesehen, wie Menschen in panischer Angst versucht haben einen Fluchtpunkt zu finden. Ich habe erlebt, wie an einem relativ ruhigen Sonntagnachmittag Autos geräuschlos in einem Eiskanal aufeinander gedonnert sind, ohne dass deren Fahrer auch nur eine Chance hatten, in irgendeiner Weise Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. Ich war dankbar, dass dieser gesamte Unfall trotz aller Opfer nicht schlimmer ausgegangen ist. Aber ich kann die in Ihrem Artikel dargestellte Abwägung zwischen Trinkwasserschutz und Personenschutz nicht nachvollziehen. Ich werde jedoch im höchsten Maße unsicher, wenn ich sehe, wie unsachlich verantwortliche Stellen und Personen in diese Situation hinein argumentieren. Das Mindeste, was wir als Bürger, als Verkehrsteilnehmer, als Steuerzahler und wie in meinem Falle als Opfer von den verantwortlichen Stellen und Personen verlangen dürfen, ist eine professionelle Gefahrenanalyse und ein Handeln nach den Erkenntnissen aus einer solchen Analyse. Mit verbal unsachlichen Meinungsäußerungen kommen wir nicht weiter!
Siegfried Krauß, Meiningen