Der offene Brief im Wortlaut: Sehr geehrter Herr Landrat, sehr geehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren des Kreistags, sehr geehrte Damen und Herren der Stadt- und Gemeinderäte, seit einigen Wochen wird der geplante Bau von Windkraftanlagen (WKA) in unserem Landkreis diskutiert.
Die Unterzeichner dieses Briefes befürworten ausdrücklich die Energiewende und den Ausbau regenerativer Energien. Unser Landkreis leistet ja bereits jetzt durch seine zahlreichen Biogas- und Photovoltaikanlagen einen enormen Beitrag zum Erfolg der Energiewende.
Wir sind uns bewusst, dass die Energiewende nur durch einen Energiemix zu schaffen ist.
Dennoch möchten wir zum aktuellen Regionalplan einige kritische Anmerkungen machen und hoffen, dass Sie sich unserem Anliegen annehmen.
Nach § 1 Abs. 5 und 6 BauGB sollen Bauplanungen die „nachhaltige städtebauliche Entwicklung, die die sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber künftigen Generationen miteinander in Einklang bringt, und eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende sozialgerechte Bodennutzung gewährleisten. Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern, sowie die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln.“
1. Allgemeine Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung (§1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB).
Diese Anforderungen sehen wir aus folgenden Gründen nicht berücksichtigt:
a. Bedrängende Wirkung
Im Grabfeld und im Streutal entfalten die geplanten Windkraftanlagen aufgrund ihrer Massierung auf engstem Raum eine enorme bedrängende Wirkung (teilweise bis zu 41 WKA auf 20 qkm). Diese Rücksichtslosigkeit gegenüber den betroffenen Grundstücken und ihren Bewohnern können wir nicht akzeptieren. Die bedrängende Wirkung entsteht dabei durch die Höhe der Anlagen von 200 Metern im Zusammenwirken mit der Drehbewegung des Rotors, dem Schattenwurf und der Sonnenlichtreflexion. Dies kann bei betroffenen Anwohnern zu physischen und psychischen Belastungen führen, vor allem dann, wenn die Einwirkungen gleichzeitig und dauerhaft aus mehreren Richtungen erfolgen.
b. Gesundheitliche Beeinträchtigungen
Mit dem Betrieb der WKA sind schädliche Umwelteinwirkungen i. S. von § 5 Abs.1 S.1 Nr. 1 BImSchG i. V. m. § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB verbunden.
Dazu gehören:
- Lärmimmissionen
- Infraschall
- Schattenwurf
- Sonnenlichtreflexion
- Bedrängende Wirkung
- Belästigung durch Warnlichter
- Gefährdung durch Eiswurf und Brände
Dies hat erhebliche Auswirkungen auf das körperliche und seelische Wohlbefinden der in der Nachbarschaft betroffenen Anwohner.
So befürchten wir, dass die Immissionsrichtwerte der TA-Lärm aufgrund der Massierung der Anlagen nicht eingehalten werden können, da die WKA oft sehr nah an die vorhandene Wohnbebauung angrenzen.
Durch einen periodischen Schattenwurf werden angrenzende Grundstücke erheblich gestört, wobei eine massive Belästigung des Wohlbefindens eintritt und mittel- bis langfristig gesundheitliche Schäden zu befürchten sind.
Erhebliche Auswirkungen auf das körperliche und seelische Wohlbefinden können auch Sonnenreflexionen, also der sog. Disco-Effekt haben. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass das Sonnenlicht von den Rotorflügeln als Blitzlicht reflektiert wird.
Das Robert Koch Institut hat die Gefahren des Infraschalls und des tieffrequenten Schalls im Bundesgesundheitsblatt im November 2007 beschrieben. Zum Infraschall durch WKA gibt es noch keine verlässlichen Langzeitstudien. Deshalb ist durch entsprechende größere Abstände einer möglichen Gesundheitsgefährdung vorzubeugen.
Bereits bekannt ist, dass WKA im Winter durch Eiswurf diejenigen gefährden, die sich in unmittelbarer Nähe der Anlagen aufhalten. Das gilt ebenfalls durch einen Brand der Anlage.
WKA müssen gem. §14 Abs. 1 u. § 12 Abs. 4 LuftVG ab einer Höhe von 100 m mit „Nachtbefeuerung“ ausgerüstet sein. Diese rot blinkenden Warnlichter stellen bei Dunkelheit ein weithin sichtbares und störendes Element in der Landschaft dar, deren dauerhaftes Blinken ebenfalls das Wohlbefinden beeinträchtigt.
Wir halten deshalb die im Bayerischen Windkrafterlass vom 20.12.2011 festgelegten Mindestabstände von 300 bis 800 m für nicht ausreichend. Die Auswirkungen von Windturbinen neuester Bauart (mit einer Nabenhöhe von 140 und einer Gesamthöhe von 200 Metern) auf die menschliche Gesundheit sind mit heutigem Stand nicht ausreichend untersucht. Durch die TA Lärm werden WKA neuester Bauart nicht erfasst.
Wir sind deshalb der Meinung, dass der Abstand der WKA zu jeglicher Wohnbebauung deutlich erhöht werden muss.
Was laut Regionalplan Main-Rhön für Kurgäste gelten soll (Abstand 2000 m), muss aus unserer Sicht auch für die Bewohner von Mühlen, Aussiedlerhöfen und Ortsrändern gelten.
2. Anforderungen in Bezug auf die Erhaltung und Fortentwicklung vorhandener Ortsteile (§1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB)
a. Auswirkungen auf den Fremdenverkehr
Durch die Massierung und Konzentration der WKA im Grabfeld und im Streutal befürchten wir massive Auswirkungen auf den Fremdenverkehr in der Region.
Erholungssuchende, die bisher aufgrund des ländlichen Charakters unsere Heimat bevorzugt haben, werden sich durch die Umwandlung in eine Region mit industriellem Charakter von dieser Region abwenden. Eine von WKA dominierte Landschaft wird massiv an Freizeitwert, Aufenthalts- und Lebensqualität verlieren. Dies wird auch erheblichen Einfluss auf unsere Kurstädte Bad Königshofen und Bad Neustadt haben.
Touristen, die bisher die hügelige Landschaft zwischen Thüringer Wald und Rhön geschätzt haben, werden zukünftig andere Ziele bevorzugen.
Negative Auswirkungen auf Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe werden nicht ausbleiben.
b. Auswirkungen auf die Fortentwicklung von Gewerbe- und Wohnbauflächen
Vor allem Gemeinden mit einer „Einkreisung“ durch WKA werden künftig keine Möglichkeiten haben ihr Wohngebiet in peripherer Ortsrandlage zu erweitern. Auch die Ausweisung neuer Gewerbegebiete wird durch die Einhaltung von Mindestabständen eingeschränkt.
c. Demographische Auswirkungen
Der geplante Bau der WKA wird die „Entvölkerung“ unserer Heimatdörfer drastisch beschleunigen. Man kann davon ausgehen, dass bei der Suche nach einem Wohnort die Wahl auf denjenigen fällt, der die geringsten Belastungen aufweist. Wer zieht denn freiwillig in einen Windpark?
3. Berücksichtigung der Landschaftspflege, sowie des Umwelt- und Naturschutzes (§1 Abs. 6 Nr. 7, §1a BauGB)
a. Landschaftsästhetik
Wir lieben unsere Heimat und leben gerne in dieser einzigartigen Kulturlandschaft der Rhön und des Grabfelds. Wir wissen, dass der Beitrag zur Energiewende auch von uns verlangt, dass wir eine Beeinträchtigung unseres Landschaftsbildes in Kauf nehmen müssen.
Die massive Konzentration und Ballung von WKA im Grabfeld und Streutal lehnen wir jedoch ab. Wir können nicht nachvollziehen, weshalb von den 1500 neuen WKA, die in Bayern entstehen sollen, allein bis zu 10 % im Grabfeld und im Streutal stehen sollen. Wir fordern, dass im Regionalplan unser Landkreis nicht einseitig zugunsten der Landkreise Haßberge, Bad Kissingen und Schweinfurt belastet wird.
Nach § 35 Abs. 3 Nr. 5 des Bundesbaugesetzbuches sind Anlagen, welche die natürliche Eigenart einer Landschaft und ihren Erholungswert, den Bodenschutz, den Denkmalschutz beeinträchtigen oder das Landschafts- und Ortsbild verunstalten, abzulehnen.
Durch die Lage an der Autobahn A71 werden wir wahrscheinlich auch noch die Landschaftszerstörungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die gewaltige Nord-Süd-Trasse P 44 (NEP 2012) über den Thüringer Wald nach Grafenrheinfeld zu verkraften haben. Auch wenn bisher nur ein Korridor ausgewiesen ist, kann man sich angesichts der ungewöhnlichen Dichte von WKA in der Region entlang der B19 und der A71 unschwer vorstellen, dass im demnächst zu erwartenden Planfestungsstellungsverfahren mit der Trassenführung eine Nähe zu diesen Anlagen gesucht wird.
b. Umwelt- und Naturschutz
Nicht nur die Rhön, auch das Grabfeld und das Streutal besitzen eine einzigartige Fauna und Flora. Diese auch für unsere Kinder und Enkel zu erhalten, muss Ziel aller Bürgerinnen und Bürger des Landkreises sein. Wir fordern deshalb für jede geplante WKA eine strenge Umweltverträglichkeitsprüfung, um dauerhafte Umweltschäden auszuschließen. Völlig absurd erscheint der Bau von WKA im Wald und an Waldrändern, weil dies einen besonders massiven Eingriff in einen intakten Naturhaushalt darstellt.
4. Berücksichtigung der Belange der Wirtschaft und der Land- und Forstwirtschaft (§1 Abs. 6 Nr. 8 BauGB)
a. Beeinträchtigung des Tourismus und von Gastronomie- und Beherbergungsbetrieben
Auf die Auswirkungen im Bereich Tourismus wurde oben schon hingewiesen. Gäste, die bisher in unserer Heimat Ruhe und Erholung suchten, werden sich abwenden, was massive Folgen auch auf die regionalen Gastronomie- und Beherbergungsbetriebe haben wird.
b. Auswirkungen auf Land- und Forstwirtschaft
Durch die Versiegelung der WKA-Standorte werden weitere Flächen für die Land- und Forstwirtschaft verloren gehen. Der erforderliche Wegebau wird dabei den Flächenbedarf für die eigentliche Anlage bei weitem übertreffen.
c. Verlust von Arbeitsplätzen
Durch den Bau der WKA werden keine neuen Arbeitsplätze in der Region geschaffen, sondern vernichtet. Die bereits geschilderten Probleme im Bereich des Fremdenverkehrs und Kurbetriebs werden zwangsläufig zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führen.
5. Wirtschaftlichkeit von WKA im Grabfeld und Streutal
Bei den im Grabfeld und Streutal vorherrschenden durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten von 4 bis 6 m/s und maximal 1500 Volllaststunden zweifeln wir am wirtschaftlichen Betrieb von WKA im Grabfeld. Wir möchten Sie bitten, sich dafür einzusetzen, dass WKA nur an solchen Standorten gebaut werden, wo deren Wirtschaftlichkeit durch ein unabhängiges Gutachten bestätigt wurde. Damit schützen Sie auch die vielen Kleinanleger in unserem Landkreis vor dem Verlust ihrer Einlagen.
Alle o. a. Punkte werden erhebliche negative Auswirkungen auf unser Leben, auf unsere Dörfer und Städte und die Weiterentwicklung unserer Region haben.
Wenn die Lebensqualität im ländlichen Raum Bayerns auch außerhalb der großen touristischen Zentren erhalten werden soll, muss mit mehr Rücksicht und Sorgfalt als dies bisher geschah, eine Umsetzung des EEG mit der Suche nach Standorten für Windkraftanlagen durchgeführt werden. Wir bitten Sie sehr, ein noch intaktes Lebensumfeld vor nicht standortgerechten Technologien freizuhalten. So darf die Energiewende in Bayern und insbesondere im nördlichen Franken nicht aussehen.
Wir sind uns sicher, dass bei Einhaltung unserer Forderungen noch genügend Standorte für den Bau von WKA in unserem Landkreis zur Verfügung stehen.
Der Bayerische Windkrafterlass fordert in seinen Vorbemerkungen: „?eine frühzeitige und transparente Beteiligung der Bürger an den Planungs- und Genehmigungsverfahren..., sowie Verständnis und Feingefühl für die unterschiedlichen Sichtweisen der Menschen.“
In diesem Sinne bitten wir Sie, sich für unsere Heimat einzusetzen.
Für die Bürgerinitiative (BI) „Windkraft im Grabfeld“, Milzgrund/Aubstadt: Manfred Röhner und Dietmar Seyffert;
für die Interessengemeinschaft (IG) Hendungen: Anja Karlein und Petra Schwarz;
für die IG Sondheim im Grabfeld: Dr. Annette Faber und Dipl.-Kfm. Harry Eckardt;
sowie als Einzelpersonen Karl-Hermann Reich, Unternehmer; Reinhold Albert, Kreisheimatpfleger; Hans Freiherr von Bibra, Rechtsanwalt; Carl Christian Bittorf, Unternehmer und Dr. Johannes-Georg Goldhammer, Allgemeinmediziner.