Der Wirz kommt. Aus den vier gebogenen Schwanenhals-Hähnen aus Kupfer fließt schäumend der goldbraune Stoff. Es duftet herrlich nach Malz. Im Oberstreuer Brauhaus herrscht Andrang. Man weiß, dass Christian Schmitt heute wieder frisches Oberstreuer Bier braut. Also weiß man auch, dass es Wirz gibt. So heißt die malzgetränkartige Flüssigkeit, eigentlich ein Nebenprodukt beim Bierbrauen, die aus dem Maischebottich fließt.
Auch Marianne Vierheilig stellt sich mit ihrem Behälter an. „Das hole ich für meinen 85-jährigen Vater und für meine 95-jährige Tante. Die lieben das und haben das schon immer getrunken, wenn gebraut wurde im Dorf“, erzählt die Oberstreuerin. Man sagt dem Wirz eine heilende Wirkung nach.
„Die Leute kommen entweder von selbst oder ich rufe sie an. Dann holen sie sich den warmen Wirz und trinken ihn genüsslich zu Hause, vor allem die Älteren“, erzählt Christian Schmitt, der Brauer im Oberstreuer Brauhaus. Er sorgt dafür, dass emsiger Betrieb herrscht in dem traditionsreichen Bau, der bis heute in Gemeindebesitz ist. Mit seinem Oberstreuer Brauhausbier in der Bügelflasche hat er eine kleine Erfolgsgeschichte geschrieben. Und ein paar Kapitel sollen noch folgen.
Das Dorfbrauhaus gibt es seit Jahrhunderten in Oberstreu zwischen Brückentor und Mühlgraben. 1675 wurde es nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder aufgebaut, noch einmal 1775 und 1960 vergrößert. 1934 gab es 131 brauberechtigte Bürger im Ort.
In den Achtzigerjahren kam die Brautradition fast zum Erliegen im Ort. Praktisch nur noch Fabian Schmitt, Vater des jetzigen Brauers, feuerte noch den Sudkessel an. Der Musikverein unterstützte die Anschaffung eines neuen Maischebottichs und eines Kühlschiffs. Es sind die Jahre, in denen Christian Schmitts Leidenschaft für das Brauerhandwerk wuchs. „Natürlich habe ich meinem Vater geholfen, habe den Treber weggeschafft oder sonst wie mitangepackt“, erzählt Schmitt. Er weiß auch noch, wie die Dorfbewohner teilweise mit Butten auf dem Rücken ihr Bier abgeholt haben. Der Rest ist vermutlich Vererbung. Denn weil schon Großonkel Pius Schmitt gebraut hat in Oberstreu, trat Christian Schmitt in die Fußstapfen seines Vaters. Er lernte das Brauerhandwerk bei der Ostheimer Streckbräu und arbeitete dort auch zehn Jahre lang. Dann schulte er um zum Werkzeugmacher und arbeitete in der Industrie.
Gebraut hat er in der Zeit nur noch hobbymäßig. Ab 2000 löste er seinen Vater sozusagen als Dorfbrauer ab. 2009 aber tat er einen mutigen Schritt. Christian Schmitt wagte die Selbstständigkeit. Er baute das landwirtschaftliche Anwesen seines Vaters zu einem Biergarten um, eröffnete die Brauhausschenke und einen Getränkemarkt und füllt seither sein „Oberstreuer Brauhausbier“ ab. Die Schänke ist im Sommer mittwochs und sonntags, im Winter nur mittwochs geöffnet. „Mehr schaffen wir leider auch zeitlich nicht“, sagt Lebensgefährtin Michaela Böhm.
Christian Schmitt ist so erfolgreich, dass mittlerweile im 14-Tage-Rhythmus gebraut wird. Bis ins Schweinfurter Umland wird sein Bier geliefert, auch Supermärkte mit Regionalangebot verkaufen den Stoff aus dem Oberstreuer Brauhaus.
„Es ist einfach der große Spaß, das alte Handwerk zu erhalten. Man sieht einfach noch was beim Bierbrauen“, spricht Schmitt über die Freuden seines Berufs. Und dass die Gerste für das Malz von Oberstreuer Feldern stammt und die Mellrichstädter Mälzerei keine fünf Kilometer entfernt liegt, macht den Regionalgedanken für das Oberstreuer Bier perfekt.
Freilich, ganz einfach war der Schritt in die Selbstständigkeit nicht. Vom Trend hin zu den handwerklichen Craft-Bieren war noch nicht die Rede, und die eigene Abfüllanlage musste erst einmal finanziert werden. „Aber das Geschäft läuft mehr und mehr“, freut sich Michaela Böhm, die fleißig mitarbeitet und auch den Internet- und Facebook-Auftritt steuert.
Im Brauhaus selbst ist moderne Technik tabu. Die Sudpfanne wird mit Holz befeuert. „Das muss man schon raushaben, dass eine gleichmäßige Temperatur von 70 Grad herrscht“, erklärt Schmitt. Das Rührwerk für die Sudpfanne rattert genüsslich, und die alte Malzmühle tut auch nach 116 Jahren noch ihren Dienst.
Gebraut wird ein goldbraunes Vollbier, in den Wintermonaten kommt ein Weihnachtsbier dazu. „Und wir schenken bei uns Glühbier aus, eine mit Gewürzen verfeinerte Komposition“, ergänzt Michaela Böhm. „Aber wir denken über weitere Sorten nach, ein sommerliches Helles und ein Pils sind in Planung.“ Dann würde die Zahl von 66 Biersorten, die im Landkreis derzeit gebraut werden, noch erhöht. „Wir freuen uns, dass es die Initiative 'Wir sind Rhöner Bier' gibt, die hilft uns doch sehr“, freut sich Christian Schmitt über das sehr aktive LEADER-Projekt.
Der Clou aber an Christian Schmitts Kunst: Der Brauer selbst trinkt gar kein Bier. „Ich habe ja die Erfahrung. Zum Probieren kommen mehr als genug. Aber vor allem beurteile ich an Farbe und Geruch“, sagt Christian Schmitt. Wer sein Bier kennt, weiß, dass er den richtigen Riecher hat.
Ausgeschenkt wird das Oberstreuer Bier natürlich auch beim Brauhausfest an diesem Wochenende im Ort. An diesem Samstag ist zudem von 14 bis 18 Uhr Tag des offenen Brauhauses mit Bierverkostung und Brotzeit.
ONLINE-TIPP
Mehr Infos: www.brauhaus-oberstreu.de