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Rüdiger "Roger" Omert: Vom Kult-DJ zum Kultgetränk

Mellrichstadt

Rüdiger "Roger" Omert: Vom Kult-DJ zum Kultgetränk

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    Rüdiger "Roger" Omert: Vom Kult-DJ zum Kultgetränk
    Rüdiger "Roger" Omert: Vom Kult-DJ zum Kultgetränk

    Die blauen Augen scheinen in Erinnerungen versunken, der rechte Fuß wippt unbewusst auf dem Betonboden. „Dort war früher der Tresen, da die Tanzfläche“, sagt Roger, deutet mit dem Finger in die Hallenecke, auf unverputzte Rohre. Scheppernd rutschen blaue Kästen vom Gabelstapler. Flaschen klappern, wo früher Cocktailgläser klirrten. Statt bunten Discoscheinwerfern flackern nackte Glühbirnen an der Wand. Alles sieht so klein aus; die Zeit, als hier an einem Abend über 100 Leute feierten, ist vorbei. Roger steht aufrecht mitten im Raum. Genau an dieser Stelle stand einst sein DJ-Pult.

    Roger heißt eigentlich Rüdiger Omert, aber in Ostheim ist er Roger, der Bionade-Mann. Das klingt nach Kinderfernsehen, will schwerlich zu dem hünenhaften Mann mit dem weiten Blick passen. Er sitzt in hellblauem Hemd und Jeans auf dem Holzstuhl in der Braustube, ein Bein über das andere geschlagen. Die überraschend filigranen Männerhände sind immer in Bewegung, unterstreichen Erzähltes und fahren auf der Suche nach Erinnerungen ab und an durch die weißen kurzen Haare. Dass sie einst Platten in der berüchtigten Kultdisco 08/15 auflegten, ist leicht vorzustellen.

    1986 eröffnet die Familie Kowalsky das Tanzlokal in Ostheim. Mit den zunächst engagierten Großstadt-DJs kann sich das Rhöner Party-Publikum nicht anfreunden. Auf dem Land tanzen Leute zwischen 15 und 40 Jahren, vom Punker bis zum Banker, gemeinsam. Da „muss der DJ die Leute sehen, einschätzen, was sie hören wollen und reagieren“. „Die Kunst ist es, den Bogen so hinzukriegen, dass sich jeder am Abend wohl gefühlt hat“, sagt Roger. Auch wenn das bedeutet, zum hundertsten Mal „So lonely“ von Police zu spielen.

    Außergewöhnlich, besonders, so beschreibt Roger heute die zehn Jahre als Discjockey. Seitens der Brauerei-Familie wurde viel Geld in das Projekt gesteckt, in Technik und Show investiert. „Unsere Licht- und Lasershow war für die Zeit irre. Die Musik wurde unterbrochen, Nebel eingesprüht und mit großem 'Papapapa' ging es los.“ Rüdiger Omert lacht auf: „Das Publikum hat damals sogar geklatscht.“ Heutzutage undenkbar, keiner ließe sich davon noch beeindrucken. Trotzdem erinnern sich viele Ostheimer an die Aktionen der 08/15, oft heißt es „weißt du noch, damals?“. Für Open-Air-Feste im Sommer wurde Rogers Anlage auf einem LKW aufgebaut. Tausende Leute drängten sich vor der Brauerei im Hof. Rogers „Guten Abend Ostheim“ hallte über die ganze Stadt – „wenn ich daran denke, bekomme ich Gänsehaut“, sagt der 54-Jährige.

    Das gilt auch für den Abend, an dem die Disco von der Geschichte überrollt wurde. Am 9. November 1989 tanzten die Rhöner wie jedes Wochenende zu Rogers Rhythmen. Dann stand plötzlich der ganze Parkplatz voller Trabbis, bis in den Vormittag wurde gefeiert, eben noch gespielte Platten verschenkt. „Das ist etwas, was man nie vergisst“, sagt er.

    Auf dem grauen Schotterparkplatz stehen 23 Jahre später Mauern aus blauen Flaschenkästen. Wie die Trabbis sind sie mittlerweile zum Symbol geworden – wenn auch für eine Geschichte der ganz anderen Art. Als das Bionade-Märchen Mitte der 1990er Jahre begann, hatte Roger seinen Job in der 08/15 bereits aufgegeben, arbeitete im Rhön-Park-Hotel als Chef-Animateur. Der Kontakt nach Ostheim, zur Familie Kowalsky und alten Kollegen, blieb bestehen. Nach einem Gespräch mit Geschäftsführer Peter Kowalsky kehrte der ehemalige DJ zurück. Nicht als Einziger blieb er dem Familienbetrieb treu, „unter den heutigen Mitarbeitern gibt es einige, die schon in der 08/15 gearbeitet haben“. Die Vision der Biolimonade, die Begeisterung der Erfinder, vielleicht auch der Reiz der Aussicht auf den großen Erfolg, machten Rüdiger Omert zum Bionade-Mann.

    Von Anfang an war er dabei, ist losgezogen und hat das bunte Getränk kästenweise zu den Gastronomen der Umgebung gebracht. Bis heute erinnert er sich bei jedem Besuch im Frickenhäuser Seecafé an den Tag, als er Wirt Horst die ersten Flaschen Bionade verkaufte. Aus einer Vitrine in der Braustube holt er eine der Flaschen hervor. Das Abfülldatum aus dem Jahr 1996 ist mit Kugelschreiber auf dem vergilbten Etikett notiert. Statt in dem intensiven Blauton schrieb die Firma das Logo damals noch in gedämpftem hellblau, nicht fett gedruckt, sondern in schmaler Schreibschrift. „Wenn ich die alten Etiketten sehe, habe ich die Bilder wieder im Kopf“, sagt Roger. Seine blauen Augen blitzen auf, Lachfältchen durchziehen das braun gebrannte Gesicht. Ein Rhöner Typ, der kaum dem typischen Vertreterbild entspricht. Eben anders – und von Bionade ganz bewusst gewählt, so vermutet Rüdiger Omert heute.

    „Ich kam völlig branchenfremd, kannte die Spielregeln nicht.“ Ohne offiziellen Dienstwagen fuhr er im eigenen Fiat Punto zu seinem ersten Termin beim Großhändler. Zwischen protzigen Autos, Anzügen und Krawatten erschien der Mann aus Ostheim als Exot. „Ich bin ausgestiegen, habe gesagt 'Hi' und alle fanden es genial“, lacht Roger. Er richtet sich auf: „Es war völlig egal, was für ein Auto draußen stand, die Chefs wollten mich immer sprechen. Sie gratulierten und lobten die Bionade-Idee in den Himmel.“

    Jahre später ist aus dem kleinen Familienunternehmen eine national agierende Marke geworden. Die Kowalskys zogen sich im Februar 2012 zurück, jetzt ist Bionade ein selbstständiges Unternehmen innerhalb der Radeberger Gruppe. Allen Veränderungen zum Trotz: Die Idee, sagt Roger, sei nach wie vor da, sie sei das Herz der Bionade. Als Betreuer der Besuchergruppen will er dieses Produktverständnis weitergeben, erklärt neben handwerklichen Details der Limonade-Herstellung auch die Vision dahinter. Verklärung liegt kaum in seinen Worten, vielmehr die Überzeugung von der Wichtigkeit des ökologischen Konzepts und sicher auch ein bisschen Lokalpatriotismus. „Ich mag die Naturlandschaft, die Weite und Ursprünglichkeit der Rhön“, sagt Roger. „Ich bin gerne hier.“ Einen anderen Beruf könne er sich nicht vorstellen, warum auch? „Wahrscheinlich bin ich der einzige Mensch in Deutschland, der mitten im Holunderfeld plötzlich Applaus kriegt.“

    An der Wand in der Braustube hängt eine gebastelte Collage. Das Geschenk einer Schulklasse, die Roger durch Brauerei und Felder geführt hat. Getrocknete Ähren und Fotografien auf hellgrünem Grund, ausnahmsweise kein Bionade-Blau. Egal ob er Discogäste oder Schüler vor sich hat: „Was ich mache, mache ich ernsthaft“, sagt Roger, die Augen wandern stolz über das Plakat. An einer Fotografie von ihm selbst neben bronzenen Braukesseln bleiben sie hängen. Kein Zufall. Eng sind Rüdiger 'Roger' Omert und der Ostheimer Betrieb verbunden, denn: „Die sind auch einen anderen Weg gegangen, als alle anderen und dass das funktioniert, hat auch keiner geglaubt.“

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