Aufgewachsen im Raum Nürnberg, verbinde ich die Vorweihnachtszeit mit dem "Adventsengelchen", einem Familienbrauch, den meine Mutter in den 1960er Jahren für meinen Bruder und mich "erfunden" hatte und der weit über unsere Kindheit hinaus noch in der Familie gelebt wurde.

Damals waren die heute verbreiteten originellen bis aufwändigen, entweder selbst gebastelten und befüllten oder eben konfektioniert gekauften Adventskalender noch nicht üblich. Zu kaufen gab es lediglich meist kleine Adventskalender in Postkartengröße mit 24 Türchen.
Das Adventsengelchen kam an den Adventssonntagen, also insgesamt viermal, und natürlich bekamen wir Kinder es niemals zu sehen. Vermutlich war es nachts oder frühmorgens, jedenfalls immer dann, wenn wir schon oder immer noch im Bett lagen, unterwegs und hängte ein Stoffsäckchen, gefüllt mit Süßigkeiten, Mandarinen, Nüssen oder kleinen vorweihnachtlichen Basteleien wie einem Strohstern, an die Klinke der Zimmertür.

Mein Bruder und ich waren sehr stolz auf diesen exklusiven Brauch, den es in den Familien unserer Freunde nicht gab. Bestimmt hatten wir uns dieses vorweihnachtliche Extra über das Jahr durch ganz besondere Leistungen verdient.
Mir ist nicht bekannt, dass unser Adventsengelchen noch in anderen Familien zu Besuch gewesen wäre. Aber zu mir ist es im Advent noch während meiner Studienzeit bis nach Würzburg und München geflogen. Dann allerdings nicht mehr viermal, sondern sozusagen komprimiert in Form eines Päckchens, das rechtzeitig zum ersten Advent ankam. Auf dem Absender standen weder Name noch Anschrift, sondern immer nur "Adventsengelchen".
Text: Ariane Weidlich
Foto: Jens Englert / Montage: Marina Burger
Ariane Weidlich (66) ist die Museumsleiterin im Fränkischen Freilandmuseum Fladungen.
In der Kolumne "Rhöner Adventskalender" schreiben Menschen aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.