Christine Mielitz, die couragierte ehemalige Meininger Theaterchefin und jetzige Intendantin des Dortmunder Opernhauses, kehrte für eine Inszenierung an das Haus zurück, in dem sie einst (schon so lange her?) mit Blut, Schweiß, Tränen und Lust ihrer Mitarbeiter einen „Ring“ auf die Bühne gehievt hatte, der in der internationalen Kulturwelt für Aufmerksamkeit sorgte. Das haben ihr die Meininger Theaterfreunde nicht vergessen. Deshalb war mit einem Bonusfaktor „M“ zu rechnen, unabhängig davon, wie die Mielitz das Fidelio-Thema bewältigte.
Der Faktor meldete sich nach dem letzten orgiastischen Befreiungsgesang des Volkes denn auch vehement zu Wort – „nie wird es zu hoch besungen, Retterin des Gatten sein“. Riesenapplaus für Mielitz, für Generalmusikdirektor Hans Urbanek und die Hofkapelle und für die Künstler, besonders für Elizabeth Hagedorn als Leonore, Hans-Georg Priese als Gatte Florestan, für Dominik Nekel als Kerkermeister Rocco und Daniela Dott als dessen Tochter Marzelline.
Düstere Geschichte
Selbst die Tatsache, dass es sich bei Beethovens Werk, vergleicht man es mit Poesie und Lebensvielfalt in italienischen Opern, um eine triste, dunkle und kaum raumgreifende Geschichte mit einem geradlinig-moralischen Libretto (von Joseph Sonnleitner und Friedrich Treitschke) handelt, selbst diese Tatsache schreckte das Premierenpublikum nicht ab.
Helge Ullmann hat zu „Fidelio“ ein beeindruckendes Bühnenbild geschaffen, das Schritt für Schritt sozusagen die dunklen Schichten entblättert, die Leonore – als junger Mann Fidelio verkleidet – überwinden muss, um ihren geliebten Gatten aus dem dunkelsten Kerker des Staatsgefängnisses zu befreien. Dorthin hat ihn der Neider Don Pizarro (Erdem Baydar) gebracht. Leonore erschlich sich das Vertrauen des Kerkermeisters und wird ihm bald in das verlorenste aller Verließe folgen, wo Florestan ermordet werden soll, bevor der Minister Don Fernando (Dae-Hee Shin) zur Inspektion erscheint.
Staatsgefängnis – das ist für Christine Mielitz natürlich das Stichwort für den Gegenwartsbezug der Geschichte. So sehen wir denn auch am Anfang, am Ende und zwischendurch die projizierte kaltlichtige Kulisse des Hochsicherheitstrakts eines Gefängnisses. Anzunehmen ist, dass es sich um eine Szene aus der chilenischen Pinochet-Zeit handelt. Wir beobachten während der Ouvertüre eine Versammlung von Frauen, die die Fotografien ihrer vermissten Männer in den Händen halten, bis eine Einzelne in den Brennpunkt rückt – Leonore, deren Weg ins Herz der Finsternis wir nun verfolgen.
Raffinierte Durchblicke
Das wird von der Regisseurin alles hochsymbolisch angelegt, mit Lichtspielen, hell-dunkel, warm-kalt, mit exakt rhythmisierten Massenszenen (Gefangene, Volk) und raffinierten Durchblicken und Durchgängen ins dunkle Innere. Dass dort drin dann allerdings ein gebeugter Florestan zu finden ist, dem man mit seiner verrutschten Krawatte und seinem aus der Hose hängenden weißen Hemd zwar eine gewisse Derangiertheit unterstellen kann, aber kaum eine zweijährige Kerkerhaft – das grenzt schon ans Lächerliche. Genauso wie die Guantanamo-Sträflingskluften, frisch aus der Reinigung, der Hitlerhaarschnitt des Schließers Jacquino (Stan Meus) oder das rosa Kittelschürzenoutfit Marzellines zur Kennzeichnung des bieder kleinbürgerlichen Milieus bei Kerkermeisters.
Was soll das? Solche Kinkerlitzchen entwerten eher den jedermann auch ohne Symbolik offensichtlichen Zeitbezug, als dass sie ihm nützen. Das soll nicht heißen, dass Mielitz und ihr Team nicht auch faszinierende und berührende Bilder in Szene setzen – vor allem die Chorszenen unter Leitung von Sierd Quarré (besonders der Gefangenenchor mit „O, welche Lust“ und die Volksszenen am Ende). Durchgängig fesselt die Geschichte aber trotzdem nicht. Auch die konkrete Annäherung Leonore-Florestan ist in ihrer Theatralik gewöhnungsbedürftig.
Also doch wieder der letzte Halt im Standardurteil „Inszenierung: na ja, Sangeskunst: hervorragend“? Jein. Wer das Libretto nicht kennt, wird akustisch kaum die Handlung verstehen. Schöne Stimmen, wunderschöne melodramatische Duette, Terzette und ein kongenialer Orches- terklang: ja, aber – bis auf Bass Dominik Nekel – nur im Ansatz verständliche Sangesworte, leider auch bei Elizabeth Hagedorn. Und das liegt nicht an einem Hang des Publikums zur Harthörigkeit.
Am Ende jedoch überwältigender Applaus. Der Faktor „M“, vielleicht, im Zusammenspiel mit anderen Lichtblicken. Und so gehen wir nach Hause, atmen erleichtert auf über das bescheidene Maß an Tyrannei im eigenen Land und wagen uns kaum die Frage zu stellen, ob uns die Gattin/ der Gatte im Notfall die Treue hielte wie Leonore ihrem Florestan.
Im Blickpunkt
Informationen und Karten gibt es im Meiniger Theater unter Tel. (0 36 93) 451 222 oder 451 137 sowie im Internet unter www.das-meininger-theater.de