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MEININGEN: Wie gefährlich ist Herr Zieschong?

MEININGEN

Wie gefährlich ist Herr Zieschong?

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    Fünf sächsische Kabarettisten in neun Meininger Kleinkunsttagen. Fünf Kabarettisten, die unabhängig voneinander dem sächsischen Kleingeist aufs Maul schauen, zudem allesamt in demselben Mietshaus zu wohnen scheinen und gleichzeitig die "große Hausordnung" zu bewältigen haben! Kann das gut gehen?

    Nach dem massiven Dialekt- und Milieubombardement durch Uwe Steimle, Gloria Nowack, Birgit Schaller und Frank Weiland von der "Herkuleskeule" und durch Tom Pauls träume ich wieder von meiner sächsischen Großmutter und wache frühmorgens mit einem sächsischen Kloß im Hals auf. Irgendwas drängt mich, sächsisch zu quasseln, zu pfeifen, Höhen und Tiefen bis zur Schmerzgrenze zu modulieren und Lene Voigts "Die Bürgschaft" zu rezitieren.

    Irgendwas drängt mich, im Baugenossenschaftshaus Dresdener Straße 57 in Heidenau/Sachsen treppauf treppab zu laufen, um Frau Bähnert und Herrn Zieschong zu suchen, die Nachbarn meiner Großmutter. Irgendwie ist das paradox: Die Sachsenoma ist seit 28 Jahren tot, aber Frau B. und Herr Z. sind quicklebendig. Sind diese klein(st)bürgerliche Mietshausgestalten unsterblich?

    Quoten-Sachsen

    Es gibt sie in Sachsen genauso wie in Bayern oder am Niederrhein. Es gibt sie überall dort, wo eine schweigende, aber im Treppenhaus lautstarke Mehrheit rumort. Der sächsische Kleinbürger eignet sich dank seiner melodiösen Sprachführung allerdings besser als andere Landsleute zum kabarettistischen Subjekt. Nur, wenn er so massiv auftritt wie in Meiningen, dann wird er schwer erträglich. Er ist zwar ein dankbares Subjekt und sorgt auch im elften Jahr der neuen Zeit für gute Quoten, auch wenn Steimle und Pauls längst getrennte Wege gehen. Aber der Typ lebt im Grunde von der Wiederkehr des Immergleichen, wie sein Alter ego in der Wirklichkeit.

    Seine Zähigkeit darf man jedoch nicht unterschätzen. Das Publikum sucht vertraute Figuren, gerade in einer Zeit des Orientierungsschlamassels. Wessis brauchen ein dickes Fell Egal, ob Steimle, Herkuleskeule oder Pauls: Sie karikieren alle mit Vorliebe den gleichen Typ Sachsen. Steimle nimmt ihn in "Günther allein zu Haus" von der radikaleren, politischen Seite. Pauls hat ihn - zumindest in seinen "Sächsischen Variationen" - ebenso radikal entpolitisiert und ihm bzw. Frau Bähnert Gedichte der begnadeten sächsischen Dichterin Lene Voigt in den Mund gelegt.

    Von DDR, Wendezeit und Neudeutschland ist so gut wie keine Rede. Und die "Herkuleskeule" variiert den sächsischen Kleinbürger im Sinne Steimles. Von "Wir riechen an der Leiche und stöhnen voller Wonne" bis zu "Wir Sachsen sind die Bayern der Zukunft" - Wessis sind bei den Sachsen-Spektakeln in der absoluten Minderheit. Sie warten wohl auf den Tag der fränkisch-bajuwarischen Gegenoffensive mit Erwin Pelzig an der Spitze. Obwohl sich die sächsischen Kabarettisten mit Genuss ihrem Subjekt der Begierde widmen, gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Solisten und dem Sachsen-Dreier.

    Steimle und Pauls lassen ihre Antihelden reden wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Die Schlüsse hat der Zuschauer zu ziehen.

    Haschierte Kost

    Die Herkuleskeule hingegen kaut - im Sinne des traditionellen, aufklärerischen Kabaretts - mitunter einiges vor, um es dem Publikum als haschierte Kraftnahrung zu verabreichen. Das hässliche Etwas und die Weisheit. Fünf Kabarettisten aus Sachsen in neun Meininger Kleinkunsttagen. Die Säle waren voll und es wurde herzlich gelacht. Auffällig an der Wirkung der Kleinkunstbürger wie Zieschong oder Bähnert ist, dass man in einem Augenblick schreien könnte über dieses gnadenlose, hässliche Etwas in ihren Seelen und ihnen im nächsten Moment auf die Schulter klopfen wollte wegen ihrer spitzfindigen Weisheiten. Da sind Gerhard Polts oder Sigi Zimmerschieds Geschöpfe eindeutiger und bösartiger gestaltet, vielleicht auch wahrhaftiger. Ihre Aussagen treffen präziser und schmerzhafter. Bei den sächsischen Kabarettisten spürt man hingegen häufig eine unentschiedene Hassliebe zu ihren Figuren (die dadurch natürlich auch publikumsverträglicher werden).

    Ich würde das gern problematisch finden, wollte aber vorher sicherheitshalber meine liebenswerte sächsische Großmutter befragen. Da sie nicht mehr lebt, bleibt die Frage leider unbeantwortet: Wie gefährlich sind Frau Bähnert und Herr Zieschong im richtigen Leben?

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