Jürgen Menzel ist unglaublich stolz auf seine Frau. "Sie hat mir das ermöglicht, hat sich durchgebissen", sagt der 38-Jährige. "Gemessen an ihrer Leistung liegt meine bei Null." Na, ganz so gering ist auch Jürgen Menzels Leistung nicht. Denn auch er bewältigte im vergangenen Sommer den "Traumpfad München - Venedig", wie ihn der Schriftsteller Ludwig Grassler vor 30 Jahren ging und beschrieb.
Erst jetzt wurde das Paar von Freunden überredet, ihre Geschichte und ihre überwältigenden Fotos nicht nur dem eigenen Bekanntenkreis vorzuenthalten. "Vielleicht können wir ja ein paar Leute animieren, so etwas auch einmal zu wagen", so Jürgen Menzel. "Der ideale Monat ist der August - da bleibt ja noch ein wenig Vorbereitungszeit." Gleichzeitig warnen die beiden davor, die Herausforderung einer Alpenüberquerung zu unterschätzen. "Berg-Erfahrung braucht man, sonst kann es gefährlich werden."
Die hat das Ehepaar aus Zell schon reichlich gesammelt. Häufig sind sie in den Alpen unterwegs, gehen Touren von sechs bis acht Tagen. "Aber da fragt man sich immer, was hinter dem nächsten Kamm wohl kommt", erklärt Jürgen Menzel seinen Wunsch, die Gebirgskette am Stück und ohne Hilfsmittel wie Autos oder Seilbahnen zu überqueren. Damit nicht genug, denn es sollte ja auf den Spuren Grasslers von München nach Venedig gehen. Und gerade die Flachstücke am Beginn und zum Ende der Tour wurden zur Tortur.
"Die ersten drei Tage bis zum Alpenrand waren ein Martyrium", erinnert sich Barbara Menzel. Die stets gleiche Belastung in der Ebene beschert ihr riesige Blasen an den Füßen, ihrem Mann massive Reizungen der Achillessehnen: "Er musste seine Wanderstiefel gegen Laufschuhe tauschen, sonst wäre nichts mehr gegangen." Bei jeder anderen Wandertour hätten sie wohl abgebrochen, nicht bei dieser. Erst als die ersten Berge erreicht sind, fällt den beiden das Gehen leichter - trotz 20 Kilogramm Gepäck für Jürgen und 13 Kilogramm für Barbara.
Das Wetter meint es nicht gut mit ihnen. Schon an der Grenze zu Österreich regnet es und hört tagelang nicht mehr auf. Das größere Problem ist jedoch der Schnee. Statt im optimalen Monat August muss das Paar schon Anfang Juli aufbrechen. Fast in jeder Berghütte bekommen sie zu hören, dass das nächste Joch, der nächste Pass unpassierbar ist. Statt schnell obendrüber heißt es dann: viele Kilometer außenherum. Allein an der Birkarspitze müssen der SKF-Maschinenschlosser und die Sachs-Sekretärin 36 Kilometer Umweg in Kauf nehmen.
Der achte Tag, Wattens in Tirol. Nach den vergangenen Nächten in urigen Berghütten gönnt sich das Paar eine Nacht in einem richtigen Hotel. Barbara hat mittlerweile "das Blase-in-Blase-System entwickelt", wie ihr Mann scherzt: Inmitten ihrer langsam heilenden Blasen aus den ersten Tagen haben sich schon wieder neue gebildet. Doch der Morgen des neunten Tages belohnt sie mit strahlendem Sonnenschein.
Die beiden sind begeistert von der Freundlichkeit der Hüttenwirte ("Die waren froh, wenn mal einer da war.") und der anderen Wanderer, die sie unterwegs treffen. Viele sind das allerdings nicht, wie Jürgen erzählt: "Manchmal haben wir tagelang keinen Menschen getroffen und haben das auch sehr genossen, ganz für uns unterwegs zu sein."
Das Ziel kommt näher: Am Pfitscherjoch, der Grenze zwischen Tirol und Südtirol, hat jemand einen Pfeil und das Wort "Venedig" auf einen Stein gemalt. Die Dolomiten werden gemeistert, darunter am 15. Tag der Piz Boe, mit 3152 Metern der höchste Punkt der Tour. Bei Freunden in Südtirol legt das Paar einen Tag Pause ein, genießt gutes Essen, Weißbier und Massage. "Trotzdem war das ein Fehler", sagt Jürgen. "Wir waren mittlerweile richtige 'Laufmaschinen'. Die Unterbrechung hat uns aus dem Rhythmus gebracht."
Der Rhythmus - das sind bei einer solchen Tour die grundlegenden Dinge: Gehen, Essen, Trinken, Schlafen. "Wir haben immer nur an den kommenden Tag gedacht", erinnert sich Barbara. "Die Tage davor und alles was daheim passiert, war fast völlig ausgeblendet."
Wie schnell es am Berg gefährlich werden kann, erfahren sie an einem steilen, aber eher unspektakulären Anstieg: Jürgen geht voraus und will seine einige Meter unter ihm gehende Frau fotografieren. Dabei tritt er einen Stein los, der Barbaras Kopf nur um Haaresbreite verfehlt. Jürgen: "Ich hab heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke".
Der bizarre Felskoloss La Schiara ist das letzte große Hindernis in den Bergen. Das Paar rechnet eigentlich damit, das Massiv umgehen zu müssen, da es nur mit Kletterausrüstung zu bezwingen ist. Und auf die haben sie bewusst verzichtet. Doch eine andere Wandergruppe muss wegen eines Verletzten auf die Kletterpartie verzichten und leiht den Menzels Seile, Helme und Karabiner. Über teils schmalste Felsvorsprünge kraxeln sie hinunter ins Tal.
Der letzte, flache, Abschnitt. Es ist heiß, Jürgen notiert "gefühlte 50 Grad". Die Moskitos sind unerträglich. Die Karten sind plötzlich ungenau, das Paar verläuft sich sogar kurzzeitig. Doch nach insgesamt 25 Tagen stehen sie in Punta Sabbioni vor den Toren Venedigs. Eine Fähre bringt sie hinüber. Auf dem Markusplatz warten Wanderer, die sie unterwegs kennen gelernt hatten. Es gibt Sekt, Eis, Freudentränen - und einen Kuss.
Sind jetzt alle Träume erfüllt? Jürgen Menzel zögert, gibt dann aber zu: "Die Alpen von Ost nach West, von Wien nach Nizza, das wär's . . ."
Barbara und Jürgen Menzel sind gerne bereit, ihre Erfahrungen und Informationen weiterzugeben. Interessenten melden sich per E-mail unter: nigel-babs@web.de