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SCHWEINFURT: Abschied von einer Weltbürgerin

SCHWEINFURT

Abschied von einer Weltbürgerin

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    Vor allem die Kunstszene, aber auch das politische Schweinfurt haben Margarita Calvary die letzte Ehre erwiesen.
    Vor allem die Kunstszene, aber auch das politische Schweinfurt haben Margarita Calvary die letzte Ehre erwiesen. Foto: Fotos: Vladimir Budin

    Die Heimatstadt von Margarita Calvary, die hier als Gretl Silberstein geboren und vergangene Woche auch gestorben ist, hat sich am Freitag vor der Weltbürgerin noch einmal verneigt. An der Spitze der Trauergemeinde gaben Oberbürgermeister Sebastian Remelé, seine Vorgängerin Gudrun Grieser und Alt-OB Kurt Petzold ihr die letzte Ehre.

    Calvary war – maßgeblich unterstützt von Petzold – die einzige nach der Vertreibung durch die Nazis wieder in ihre Geburtsstadt zurückgekehrte Mitbürgerin jüdischen Glaubens. Sie wird als große Künstlerin, aber auch als ein Symbol der Versöhnung und des Verzeihens in Erinnerung bleiben.

    Vertreten war bei der Trauerfeier und der sich anschließenden Beerdigung neben zahlreichen Vertretern des öffentlichen Lebens, darunter frühere und amtierende Stadträte, vor allem das künstlerische Schweinfurt. Eine der beiden Trauerreden hielt denn auch der frühere Kulturamtsleiter Erich Schneider.

    Von den beiden Töchtern wohnten die in Paris lebende Anna Calvary und Enkel Sébastian der Trauerfeier bei. Die zweite Tochter Daniela lebt in Buenos Aires (Argentinien).

    Trauerredner Christian Pfitzner zeichnete das Leben des „großartigen Menschen“ Margarita Calvary nach, das auch ein Leidensweg gewesen sei. Die Kindheit habe sie, 1922 am Marktplatz geboren, noch unbeschwert genießen können, mit den Nachbarn aus der Keßlergasse feierte die Familie Weihnachten.

    1933 ändert sich ihr Leben, das Ziel Abitur gerät außer Reichweite. „Meine Freundinnen haben Angst, mich auf der Straße zu grüßen“, zitiert Pfitzner Calvary. Ihr Vater Ludwig Silberstein stirbt, Mutter Selma schickt die Tochter 1938 nach London, wo sie durch Besuche der National Gallery erste Kontakte zur Kunst findet. In Argentinien kommt die Familie wieder zusammen. Gretl lernt Ernesto Calvary kennen, heiratet ihn, drei Kinder werden geboren, ein Sohn stirbt bei der Geburt.

    Margarita lernt den Beruf der Krankenschwester, beginnt, sich mit der anthroposophischen Lehre Rudolf Steiners zu beschäftigen, lernt das Violine-Spiel, studiert Innenarchitektur und beginnt zu malen. Ihre Lehrer sind hochkarätig – Alfredo Garzón, Hector Cartier.

    Umzug nach Spanien. In Madrid eröffnet sie 1977 ihre erste Ausstellung. Zahlreiche weitere werden folgen. Als Ernesto stirbt, hilft ihr das Malen über den Verlust und Schmerz hinweg.

    1984 kehrt sie erstmals nach Deutschland zurück, präsentiert ihre Bilder in der Regensburger Stadtbücherei, ein Jahr darauf eröffnet sie eine Vernissage in Schweinfurt. Kurt Petzold nimmt den Kontakt auf, besucht sie sogar in Madrid und überzeugt zum Besuch der Heimatstadt. 2003 zieht sie in die Stadt, ein „guter Entschluss, der eine wahrhafte Emotion zufolge hatte“, hat sie einmal gesagt. Sie empfinde keinen Hass, „ohne jemals das Unsagbare, das die in die KZ deportierten Juden erlebten, zu vergessen“.

    Margarita Calvary findet in Schweinfurt viele neue Freunde, betreibt ein Atelier in der Friedenschule. Die Besuche dort seien zuletzt immer seltener geworden, was Anlass zu ernsthafter Sorge um sie gegeben habe, sagt Schneider.

    Calvary habe ihre Rückkehr nicht als „Besuch der alten Dame“ inszeniert, sondern sie sei „in ihrer stillen, bescheidenen Art auf einmal unter uns gewesen“, schildert Schneider die Künstlerin, die kaum eine Vernissage oder kulturelle Veranstaltung versäumt habe. Dennoch habe das „ohne Heimat sein, nirgendwo hingehören, tief in ihr drin gesessen“, schildert der langjährige Chef der Schweinfurter Museen, dem Calvary ihre Sammlung noch zu Lebzeiten vermachte. Calvary habe seit den 1970er-Jahren konsequent an ihrem künstlerischen Ausdruck gearbeitet. Dabei sei sie zu einer immer stärkeren Reduktion ihrer Struktur- und Farbelemente vorgedrungen. „Mit einer kleinen Instrumentierung weniger ausdrucksstarker Stimmen erzielte die Künstlerin gerade in den letzten Jahren in ihren jüngsten Kompositionen einen vollen, reifen Klang voller Form und Harmonie“, hob Schneider ihr Wirken auf eine hohe Stufe.

    Eines ihrer letzten Werke ziert den Neujahrsgruß des Historischen Vereins Schweinfurt für 2016. Der Linolschnitt zeigt dicht gedrängte Häuser einer Stadt mit großen Toren. In einem Haus reicht das Tor bis in den Himmel. „Durch ein solches Tor mag Frau Calvary geschritten sein, wir trösten uns mit der Vorstellung, dass es dort auch Pinsel und Farben und ein kleines Atelier geben möge“. Schneiders Stimme zittert dabei.

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