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all this here – herman de vries in der Kunsthalle

Stadtkultur Schweinfurt

all this here – herman de vries in der Kunsthalle

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    herman de vries, das große rasenstück, 2004, gräser auf papier.
    herman de vries, das große rasenstück, 2004, gräser auf papier. Foto: FOTO Bruno Schneyer

    Fast jeden Tag, wenn er nicht auf Reisen ist und wenn es seine Gesundheit zulässt, geht herman de vries in den Steigerwald um Eschenau, den er sein 200 Quadratkilometer großes Atelier nennt. Er kennt mehr Wege und Plätze, mehr Pflanzen und alte Flurnamen als die Einheimischen. Auch nach vier Jahrzehnten beobachtet er die Veränderungen in der Natur mit großer Neugierde, als wäre es seine erste Wanderung, freut er sich über eine seltene Pflanze, die er sogleich bestimmt, setzt er sich an einen Bach und beobachtet, wie das Wasser über einen Stein fließt, sammelt er, was ihm ins Auge fällt, und bewahrt es zu Hause auf, um es später – meist ohne verändernde Eingriffe – zu präsentieren: Zweige, Blätter, Steine, Knochen, Aschen, Erden, Artefakte.

    Unter dem Titel „all this here“ zeigen die Museen und Galerien der Stadt ab 12. Februar eine retrospektivisch angelegte Ausstellung, die 2009 für das Museum Schloss Moyland konzipiert wurde, in Schweinfurt freilich einige Veränderungen erfährt. Bereits 1993 war der niederländische Künstler, der seit 1970 im Steigerwald lebt, mit der Werkschau „meine poesie ist die welt“ in der Halle Altes Rathaus vertreten. 2006 war die Galerie Alte Reichsvogtei eine von fünf Stationen der Ausstellungsreihe „ihm zu ehren“ anlässlich seines 75. Geburtstages.

    Die aktuelle Ausstellung samt umfangreichem Katalog ermöglicht einen Blick auf sein umfangreiches und komplexes künstlerisches Schaffen seit den frühen 1960er Jahren. In dieser Zeit war herman de vries Mitarbeiter am Arnheimer Institut für angewandte biologische Forschungen in der Natur. In seiner freien Zeit las er buddhistische Schriften. Beides prägte seine Entwicklung zum Künstler: wissenschaftlich exakte Methoden und die tief-mystische Verbindung der fernöstlichen Philosophien mit der Natur.

    Für de vries war das nie Widerspruch, sondern Notwendigkeit. 1966 formulierte er: „ich finde es wichtig, wissenschaftliche möglichkeiten auf ein anderes Gebiet zu übertragen, in meinem Fall auf das gebiet der kunst.“ Das lässt sich am Beispiel des Zufalls erklären, mit dem de vries viele Jahre lang arbeitete. Bei der Untersuchung von Schädlingen an Nutzpflanzen beim Pflanzenschutzdienst in Wageningen musste er im Labor künstliche Zufallsbedingungen schaffen, ähnlich denen in der Natur. Er benutzte dafür die Zufallstabellen aus dem Standardwerk „Statistical Tables for Biological, Agricultural and Medical Research“ von Ronald A. Fisher und Frank Yates.

    Beim Betrachten der Versuchsreihen erkannte er, dass diese Anordnung selbst eine Methode war, einen Teil der Wirklichkeit zu zeigen. Sie war nichts abstraktes, sondern, wie er es formulierte „wirklichkeit als dokument von sich selbst“. Eine entscheidende Erkenntnis für sein künftiges Schaffen. Auch in Eschenau arbeitete er mit dem Zufall, legte beispielsweise, wie in der Ausstellung zu sehen, ein Blatt Papier für einen vorher bestimmten Zeitraum unter einen Weidenbaum und fixierte die Blätter in der Anordnung, wie sie darauf gefallen waren.

    Ihm wurde klar, dass das Prinzip des Zufalls nicht ausreichte, um die unendlichen Variationsmöglichkeiten zu erklären. In einem Gespräch mit Paul Nesbitt, Leiter des Botanischen Gartens in Edinburgh, formulierte er 1991 seine Erkenntnis:„anfangs habe ich gesagt, wenn ein blatt vom baum fällt gibt es eine reihe von faktoren, die bestimmen, dass es in einem bestimmten augenblick auf einen bestimmten punkt fällt. und das zusammentreffen der faktoren bezeichnete ich als zufall. doch dann begriff ich, dass alles eine ursache hat und dass der begriff zufall in wirklichkeit unsere unfähigkeit ausdrückt, das komplexe zusammenspiel dieser ursachen zu erforschen“.

    Es ist bezeichnend für seine präzise Art zu arbeiten, wie genau sich herman de vries an die Momente und Orte seiner Erkenntnisse erinnert. Ein Tag war der 4. Juli 1970. Er war auf seiner ersten großen Reise, die ihn auf die Seychellen führen sollte, wo er mit Freunden eine Insel kaufen wollte. In einem kleinen Hotel in Teheran machte er Station, als ihm bewusst wurde, dass aus Veränderungen immer Chancen erwachsen. Dass das eine ohne das andere nicht möglich ist: chance and change. Dieses Begriffspaar hat bis heute Gültigkeit und findet vielfache Verwendung in seinem Werk.

    An einem Strand auf den Seychellen sammelte er 24 Muscheln derselben Spezies, die er später in einem dreireihigen Raster anordnete. Es ist das erste seiner „wirklichkeitswerke“. de vries erkannte, dass alle Muscheln durch den gleichen Prozess entstanden waren, sich glichen und doch voneinander unterschieden: different and identic, um ein anderes Wortpaar zu nennen. Auch diesem Aspekt seines Schaffens, der Verwendung von Sprache, widmet sich die Ausstellung. Zu sehen sind Textwerke, für die er in einem lange andauernden Prozess Worte auf Papier schreibt, die ihm aufgrund von Erfahrungen wichtig sind, und eine Auswahl an Künstlerbüchern und Editionen, die er herausgegeben hat. Unter anderem über seine „statements“, kurze Performances, meist in der Natur, bei denen er ohne zu sprechen und oft unbekleidet mit einer Haltung ausdrückt, was er nicht oder nur mit vielen Worten sagen könnte.

    Im Zentrum der Halle sind zwei Bodeninstallationen geplant: ein Kreis aus Rosenblüten, „rosa damascena“, als Erinnerung an die erste Begegnung mit Joseph Beuys 1984. Während herman de vries für die Ausstellung „von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf“ von einer Leiter aus 108 Pfund Rosenblüten streute, stand Beuys daneben, schaute zu, die beiden unterhielten sich angeregt.

    Die zweite Installation, die „steigerwald cosmologie“, ist eine Anordnung von Gegenständen, die de vries zwischen 2007 und 2009 gefunden hat: Baumstümpfe, Rinden, Gras, Vogelnester, Steine, Geweihe, von Flechten bedeckte Äste und von Menschen zurückgelassene Gegenstände. „die dinge sind keine symbole“, sagt herman de vries, „sie sind, was sie sind und teilen uns beim betrachten ihr sein in der welt mit. jedes hat seine eigene geschichte und herkunft, ist träger seines eigenen inhalts.“

    Alle Arbeiten präsentieren letztendlich ein Erlebnis, eine Wahrnehmung. Das kann ein Stück Gras von einer Wiese sein; die Zweige von 26 Bäumen, die er in Reihen anordnet; die Asche vom Platz, an dem die letzten Hexen verbrannt wurden, die er ausreibt; Binsen, die er so auf Papier fixiert, wie sie in einem kleinen Wassertümpel wuchsen; 21 unterschiedliche Sandsteine aus Unterfranken oder die Ausreibungen von Erden einer bestimmten Gegend. Was er auswählt, folgt keiner bestimmten Systematik, sondern wird „von der poesie des augenblicks bestimmt, von den visuellen chancen in der natur.“ Jedes andere Ding könne freilich als ebenso bedeutsam angesehen werden, sagt de vries. Insofern geht seine Kunst über die Beschäftigung mit der Natur hinaus, es geht ihm um die Wahrnehmung an sich. Er sieht sich dabei als Mittler. „natürlich kann der künstler das blatt aufheben – und findet die ganze welt darin – oder er kann es liegenlassen, das hängt von seinem gewahrsein ab“. Erst später, in den Gesprächen mit seiner Frau Susanne entwickelt sich aus dem Gefundenen, Gesehenen, Gehörten ein Projekt, eine Arbeit, wird aus einem Stein ein Kunstwerk.

    Ausstellung all this here

    herman de vries schreibt seit 1956 ohne Großbuchstaben, deswegen sind sein Name, seine Zitate und die Titel seiner Werke auch so geschrieben.

    Eröffnung der Ausstellung mit Barbara Strieder, Museum Schloss Moyland, am 11. Februar, 19 Uhr, Kunsthalle. Zu sehen bis 16. Mai.

    Begleitprogramm:

    11. März, 19 Uhr, „unterwegs mit herman de vries“, Vortrag über Leben und Arbeiten im Steigerwald mit Katharina Winterhalter.

    29. April, 19 Uhr, „Die Arbeit von herman de vries: Philosophische Hintergründe und Implikationen“, Vortrag von Cees de Boer.

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