Die Menschen schieben sich durch den engen Flur in die Küche und das Wohnzimmer, öffnen Schränke, begutachten Schmuck, Kunst und Porzellan. Heute dürfen sie das ungestraft in einer fremden Villa tun. Zwei Stunden haben sie Zeit, die Objekte ihrer Begierde zu sichten. Schnäppchenjäger, Kunsthändler und Neugierige – etwa 200 Menschen sind gekommen, um bei einer Nachlassversteigerung im Schweinfurter Osten dabei zu sein. Rund um den weißen Bungalow nahe dem Museum Otto Schäfer gibt es kaum noch einen Parkplatz. Doch nicht jeder bietet mit. Manche wollen einfach mal eine Versteigerung erleben. Oder schauen, wie die Reicheren so leben.
Auktionator Herbert Weidler trägt ein Headset. Damit ihn alle im Haus hören können, haben seine Mitarbeiter Boxen aufgestellt. Der Nürnberger versteigert das komplette Inventar im Auftrag des Nachlassverwalters und damit der Erben. An der Wohnungstür verteilt er Zettel, auf denen die wichtigsten Gegenstände aufgführt sind: Ölgemälde, Bücher, Möbel, Porzellan, Schmuck, Elektrogeräte.
„Ich hab's auf die kleinen Bilder da abgesehen“, sagt Kurt Häusler und deutet auf den Wohnzimmertisch. „Das ist Öl auf Elfenbein, davon habe ich daheim schon jede Menge“, erklärt der gebürtige Schweinfurter, der in Coburg lebt und sich dort im Kunstverein engagiert. „Die zwei hätte ich schon noch gern, auch wenn ich wahrscheinlich Ärger mit meiner Frau kriege“, sagt er verschmitzt. 60 bis 70 Euro pro Bild, hat er sich als Limit gesetzt.
Häusler war schon häufiger bei Versteigerungen von Herbert Weidler dabei, auch in dessen Auktionshaus in Nürnberg. „Hier in Schweinfurt gibt es ja leider keins.“ Immer wieder mal macht er bei Haushaltsversteigerungen ein Schnäppchen, verrät er und nimmt mit prüfendem Blick einen silbernen Kerzenständer in die Hand. „Einmal hab ich einen Stapel Schallplatten für zehn Euro gekauft.“
Kurz vor 15 Uhr drängen alle ins große Wohnzimmer. Hier soll die Auktion beginnen, hier gibt es die wertvollsten Stücke. Weil man sich vor lauter Menschen kaum noch bewegen kann und die Luft langsam stickig wird, hat jemand die Schiebetür zum Garten geöffnet.
Geboten wird per Handzeichen
Auktionator Weidler schiebt sich durchs Gedränge und klettert hinter dem Wohnzimmertisch auf einen Schemel, damit er alle Bieter im Blick hat. Kurz und klar erklärt er die Spielregeln: Kärtchen gibt es keine, geboten wird per Handzeichen – und zwar eindeutige, bitte! Zu viele Missverständnisse, Tragödien und wütende Bieter hat er in 28 Jahren als Auktionator erlebt.
Die potenziellen Käufer und Neugierigen sammeln sich um den Wohnzimmertisch, auf dem Silbergegenstände, Schmuck und Porzellanfiguren liegen. Eine Frau mit Perlenkette hat es sich etwas abseits auf dem schwarzen Ledersessel hinter dem geschwungenen Holzschreibtisch bequem gemacht, als freue sie sich auf ein gutes Theaterstück. Andere stöbern am Ende des Zimmers in raumhohen Bücherregalen.
Die Auktion beginnt. Zuerst sind die wertvollen Stücke dran: Ölgemälde aus dem 19. Jahrhundert, die an der Wand hinter Herbert Weidler hängen. Es sind die einzigen Angebote, für die ein unteres Limit festgesetzt wurde – 500 Euro für die kleinen, zwischen 1500 und 2000 Euro für die großformatigen. Das erste Gemälde ist gleich ein Renner: Den „Michelangelo“ des polnischen Künstlers Ludwik Kurella aus dem Jahr 1867 treiben zwei Kunsthändler in weniger als einer Minute auf 5500 Euro. Den Zuschlag bekommt ein Händler aus dem Raum Gießen.
Sekunden später steht eine der beiden Töchter des Auktionators vor ihm und kassiert den Kaufpreis – plus zehn Prozent Aufgeld. Die werden bei jedem Stück fällig und gehen an das Auktionshaus, üblich sind normalerweise 20 Prozent. Der Händler zieht einen Umschlag mit einem dicken Bündel Geldscheinen aus der Jacke und blättert der Frau die Summe hin.
Weidlers Töchter Kathrin und Kerstin, 23 und 24 Jahre alt, sind selbst Auktionatorinnen – nach den Worten ihres Vaters die jüngsten in Deutschland. Heute sind sie aber für das Kassieren und die Übergabe der Stücke zuständig. Im Moment des Zuschlags ist der erfolgreiche Bieter selbst für seine Ware verantwortlich. Die ersteigerten Gegenstände müssen noch am selben Tag abgeholt werden, Möbel spätestens am nächsten Tag. Zwei Weidler-Mitarbeiter passen auf, dass kein Unbefugter den Andrang nutzt, um Dinge aus dem Haus zu tragen.
„Das war etwas mehr, als ich mir selbst als Obergrenze gesetzt habe“, sagt der Gießener Händler während er den weißen Umschlag wieder verschwinden lässt. Trotzdem ist er zufrieden mit seiner Neuerwerbung: „Ein schönes Bild! Es ist in sehr gutem Zustand und hat einen wunderbaren, barocken Rahmen.“ Der Händler ist sich sicher, dafür in Polen oder Russland 12 000 Euro zu bekommen. Er ist zum dritten Mal auf einer Haushaltsversteigerung von Weidler. „Manche Gesichter sieht man da immer wieder“, sagt er.
Die Stunde der Normal-Bieter
Mittlerweile ist das zweite große Ölbild an der Reihe, mindestens 2000 Euro soll es bringen. Die Besitzer waren Salzburg-Fans, das Gemälde von Franz Kulstrunk von 1861 ist eines von vielen, das die Stadt zeigt. Doch nicht einmal ein Kunsthändler aus Österreich will dafür 2000 Euro zahlen. Weil das erste Bild so gut gelaufen ist, geht der Auktionator mit dem Preis runter. Schließlich geht „Salzburg“ für 1600 Euro weg.
Zwischendurch – quasi zum Auflockern – versteigert Weidler ein ganzes Eckregal mit Büchern. Einige wertvolle Stücke und Kunst-Atlanten sind dabei. Mitnehmen muss der Bieter, der für 900 Euro den Zuschlag bekommt, aber auch den Schund, der ihn nicht interessiert. Denn der Auktionator hat den Auftrag, die Wohnung komplett leerzubekommen. Es gibt noch ein größeres Bücherregal im Wohnzimmer mit hunderten Exemplaren von Biografien bis zum „Lexikon der erotischen Literatur“. Sie finden komplett für gerade mal 220 Euro einen Käufer.
Der österreichische Händler hat inzwischen noch ein paar kleinere Salzburg-Bilder ersteigert und trägt sie durch die Menge nach draußen. Der Rest interessiert ihn nicht. „Jetzt geht es weiter nach Dortmund“, verabschiedet er sich. Als die Wände immer kahler werden, schlägt die Stunde der „Normal-Bieter“ – wie Kurt Häusler. Und tatsächlich bekommt er den Zuschlag für die beiden anvisierten Bildchen für 120 Euro.
Als das Wohnzimmer weitgehend leer ist, sind Flur und Küche dran. Ein umfangreiches Service aus Hutschenreuther-Porzellan findet schnell einen Liebhaber, ebenso die Jacken in der Garderobe, darunter ein Pelzmantel. Ein Mann bittet das Publikum, ein wenig zur Seite zu treten, damit er die Läufer in dem engen Flur zusammenrollen kann.
Selbst den kleinsten Krempel schlägt Weidler los. Eine Frau freut sich über einen Stapel Leder-Geldbeutel und Schlüsselanhänger aus der Kommode. Zwei Euro, was soll man da falsch machen? Die Telefonbücher, die im Paket mit dabei sind, will sie aber liegenlassen. Da muss sie allerdings verschwinden, bevor es der Auktionator merkt.