Mein Pferd war gestürzt und liegen geblieben im dichtesten Kampfgewühl. Ich sah mich mit der Lanze in der Hand um ein Ersatzpferd um, welche genug herumliefen. – So beschreibt der Ulan Heinrich Hofmann ein Erlebnis bei der Schlacht von Lagarde. Es könnte dem Schwebheimer Gustav Müller ähnlich ergangen sein, denn auch ihm wurde bei diesem Gefecht sein Pferd unter dem Hintern weggeschossen. Nach einem Tag fand er erst zurück zu seinem Regiment.
Erich Stahn, der Enkel jenes Gustav Müller, erinnert sich an Erzählungen seines Großvaters. Geschichtlich interessiert, wie er von Jugend an war, ist er dessen Geschichte beim Ersten Königlich Bayerischen Ulanen-Regiment in Bamberg nachgegangen.
Am 10. Oktober 1908 wurde der Schwebheimer zur Kavallerie in die vierte Eskadron des Ulanen-Regiments in Bamberg eingezogen und leistete dort bis 1911 seinen Wehrdienst ab. Anhand der Ehrentafel aus den „Erinnerungsblättern deutscher Regimenter“ zum Ersten Weltkrieg lässt sich nachweisen, dass dort viele Unterfranken auch aus dem Landkreis Schweinfurt Dienst taten.
Am 2. August, einen Tag nach der deutschen Kriegserklärung an Russland, wurde Gustav Müller eingezogen. „Er ging begeistert in den Krieg, kam aber als Pazifist zurück“, erinnert sich Stahn. Aufgrund seiner Erlebnisse im Ersten Weltkrieg sei sein Großvater ein Leben lang Kriegsgegner gewesen, sagt der Enkel. Als Kind habe er ihn mal gefragt, ob er im Krieg auch getötet habe. Die Antwort des Großvaters: „Über so was spricht man nicht.“
Seine Aversion gegen Krieg hätte Müller im Nationalsozialismus beinahe in Haft gebracht. Er wurde denunziert, weil er bei einem Wirtshausgespräch zu laut zu bedenken gab, dass auch die Amerikaner „nicht mit Bratwürst schießen“.
Kaum eingezogen, kämpfte der Ulan aus Schwebheim am 11. August 1914 beim legendären Gefecht von Lagarde mit.
Dies war die letzte Kavallerie-Attacke, bei der mehrere Eskadrons gemeinsam die französischen Truppen nahe dem kleinen Dorf Lagarde in Lothringen angriffen. Rein militärisch ein großer Erfolg. Aber allein auf deutscher Seite verloren an einem Tag 16 Offiziere, 219 Ulanen und 304 Pferde ihr Leben. Vermutlich waren es diese hohen Verluste, die zur Folge hatten, dass Kavallerie-Verbände für den Rest des Krieges nicht mehr in Gefechten, sondern hauptsächlich für Aufklärungsaufgaben eingesetzt wurden. So auch Gustav Müller. Der Schwebheimer kam nach seinem Abzug aus Frankreich im Februar 1915 erst einmal nach Hause. „Das war wohl eine Art Heimaturlaub“, meint Erich Stahn und rechnete aus, dass neun Monate später seine Tante zur Welt kam.
Nach diesem Schwebheimer Intermezzo wurde der Ulan Müller mit seinem Reiterregiment mit der Bayerischen Kavallerie-Division an die Ostfront verlegt. Die Offiziere hätten den Soldaten damals versprochen: „In 14 Tagen seid ihr wieder zuhause, bei den Russen hat doch nur jeder dritte ein Gewehr.“ Nun, ganz so war es nicht.
Nach dem Vormarsch nach Kurland und der erfolgreichen Schlacht bei Tarnow-Gorlice mussten die Ulanen in einem Stellungskrieg an der Komaika in Litauen bis zum April 1916 ausharren. Anschließend wurde das 1. Ulanen-Regiment in die Ukraine transportiert und war dort bis Februar 1918 am Stochod im infanteristischen Einsatz im Stellungskrieg.
Stahn erinnert sich, dass der Großvater erzählte: „Die Russen haben immer zu essen gehabt.“ Die Ulanen hatten wohl eher Hunger. In den „Erinnerungsblättern“ schreibt Ludwig Freiherr von Gebsattel, General bei den Kaiserulanen, nur vom Hunger der Pferde, denen das Sägemehl als Futterersatz wohl so gar nicht bekommen ist.
Am 10. September 1916 wird der Ulan Gustav Müller durch einen Artillerie-Schuss in die linke Hand verwundet. Ein Leben lang blieb er ein entschiedener Kriegsgegner, bei der SPD fand er seine politische Heimat. Sein Enkel Erich Stahn sorgt heute dafür, dass die Geschichte seines Großvaters und der Kaiserlichen Ulanen nicht in Vergessenheit gerät.