Geschichten, die auf einer Theaterbühne erzählt werden, bleiben einem nicht unbedingt deshalb in Erinnerung, weil sie mit großem Brimborium inszeniert wurden. Im Gegenteil. Oft sind es die leisen, unspektakulären Begegnungen, die uns auch nach langer Zeit im Gedächtnis haften bleiben. Selbst im Laufe eines Theaterbesucherlebens können das überschaubar wenige sein. Eine neue Inszenierung der Meininger jedoch hat das Zeug dazu, so schnell nicht vergessen zu werden: „Gift. Eine Ehegeschichte.“
Das mehrfach ausgezeichnete Zwei-Personen-Stück der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans ist ein meisterliches Kammerspiel, inhaltlich und dramaturgisch, von Thomas Roth mit großer Behutsamkeit in Szene gesetzt und von Anja Lenßen und Manfred Möck – der als Gast am Meininger Theater weilt – mit nahezu unglaublicher Intensität zum Leben erweckt.
Ein Mann und eine Frau mittleren Alters treffen sich in der Eingangshalle eines Friedhofs. Hinter einer geöffneten sterilen Plexiglasschiebewand sieht man verwahrloste Grabplatten. Auf dem laubübersäten Boden liegen Kinderspielzeug und sogar ein alter Koffer herum (Bühnenbild von Helge Ullmann, Kostüme von Nadira Nasser).
Der Mann und die Frau waren einst ein glückliches Paar. Dann starb ihr kleiner Sohn an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Danach war nichts mehr so wie vorher. Bei Nacht und Nebel verließ der Mann damals die Frau, in tiefer Verzweiflung darüber, keinen gemeinsamen Weg des Umgangs mit der Trauer zu finden. Und nun, neun Jahre später, begegnen sich die beiden zum ersten Mal wieder. Vorgeblich geht es um eine Urnenumsetzung wegen Giftstoffen in der Friedhofserde. Seltsamerweise aber findet sich zu dem vereinbarten Termin niemand sonst ein. Und so verlieren sich Mann und Frau in einem Gespräch über ihre Vergangenheit. Aber kann man sich nach so langer Schweigezeit und nach so unterschiedlichen Lebenswegen überhaupt noch einmal näherkommen? Schüttet man den anderen nicht vielmehr mit Vorwürfen zu, versucht, alte Rechnungen zu begleichen, oder lässt sich vom eigenen Jammer die Luft zum Atmen rauben? Es sieht nicht nur zu Beginn der Begegnung ganz danach aus. Wie sich die beiden annähern und abstoßen – mit wechselnden Augenblicken rudimentärer Zärtlichkeit und hervorbrechenden Hasses – und wie die Frau versucht, die Ansichten des Mannes ins Lächerliche zu ziehen, das zeugt von der tiefen Trauer, die die Frau immer noch gefangen hält – als sei sie dazu verurteilt, sich lebenslang zu quälen.
Wie er, im Gegenzug, versucht, sein Verhalten zu erklären und zu legitimieren, verrät nicht minder von der Existenz einer im Verborgenen schlummernden Verzweiflung, aber auch von der Sehnsucht nach einer Entspannung, die noch keine Worte gefunden hat. Selbst, wenn er – als Journalist und Schriftsteller – einen besseren Umgang mit den Instrumenten der Rhetorik pflegt als seine ehemalige Frau.
All diese Gefühlsschattierungen und sprachlichen Eskapaden, die im Buche stehen, garantieren jedoch allein kein glaubwürdiges Spiel. Da braucht es schon zwei versierte Schauspieler wie Anja Lenßen und Manfred Möck, die Lot Vekemans' Geschichte und Thomas Roths Konzept so umsetzen, als wär's ein Stück aus dem wahren Leben. Und das wahre Leben kennt nur in Ausnahmefällen kitschig-harmonische Happy Endings – obwohl den Beteiligten ein solches zu wünschen wäre. Realistisch ist jedoch ein wahrhaftiges Ende. Und auf das steuert die Geschichte tatsächlich zu. Würden die Darsteller nicht so empathisch mit der Sprache und ihrem Subtext umgehen, könnte die Handlung leicht ins Konstruierte abgleiten. Würden die beiden nicht die Stille, den einfachen Gestus ohne Worte, genauso ernst nehmen wie den verbalen Schlagabtausch, verlöre die Geschichte an Glaubwürdigkeit. So aber passt an jenem Abend alles. Wie gesagt: Oft sind es die leisen, unspektakulären Begegnungen im Theater, die uns in Erinnerung bleiben. Diese Inszenierung sollte dazugehören.
Nächste Vorstellungen in den Kammerspielen: 21. und 27. Februar, 21. und 28. März, jeweils 20 Uhr. Kartentelefon: (0 36 93) 45 12 22.