Die Obere Straße ist ein beredtes Beispiel dafür, wie Sein und Schein, Plan und Realität bisweilen weit auseinanderklaffen können. Der Plan wurde dem Stadtrat im April letzten Jahres per Powerpoint-Präsentation vorgestellt. Bis zum September 2011 sollte das innerstädtische Aschenbrödel ein vollkommen neues Gesicht erhalten, mit beiderseits breiteren Gehwegen, Baumpflanzungen, Parkbuchten mit Natursteinbelag und einer „Fahrstraße aus aufgehelltem Asphalt“, vergleichbar der Krummen Gasse. So die seinerzeitigen Ausführungen von Baureferent Jochen Müller.
Es ist wieder April. 2012. Von der Fahrbahn aus aufgehelltem Asphalt keine Spur. Von der eigentlich vorgesehenen Radfurt an der Einmündung zum oberen Marktplatz auch nicht. Das einzige, was hier fährt, sind Baufahrzeuge und ein paar mittlerweile verzweifelte Anwohner. Die Obere Straße ist Dauerbaustelle – seit dem 1. April 2011 und (mit kurzen Unterbrechungen) zunächst mindestens noch bis Mitte Mai 2012. Zunächst deshalb, weil die Asphaltierung an der Ecke Zehntstraße/Markt ein – erneutes – Provisorium ist.
Das alles sehr zum Verdruss der dort ansässigen Geschäftsleute und der Schweinfurter Autofahrer, die gleich massenhaft aus der Not – der Teilsperrung in der City – eine wenig erbauliche Tugend machen und kurzerhand völlig vorschriftswidrig durch die Rückertstraße kurven. Manche vergessen dabei, dass sie eine Fußgängerzone befahren.
Der Pfusch in der östlichen Innenstadt regt viele Schweinfurter auf. Erst zogen sich die Kanalarbeiten angeblich unvorhergesehen in die Länge, dann musste auf den Container mit Natursteinen aus China gewartet werden, schließlich erfolgte eine kurzzeitige Freigabe für den Durchgangsverkehr während des Weihnachtsmarktes. Anschließend wurde die Straße wieder gesperrt wegen der verzögerten Arbeiten im Bereich Kornmarkt, nur verschlungene Fußpfade führten über Schotter, groben Asphalt oder Lehm zu den dortigen Geschäften und Cafés.
Jetzt hat man schwarzen statt des vorgesehenen hellen Asphalts aufgebracht, als Übergangslösung. Das heißt: Die nächste Baustelle kommt bestimmt. Wann, das steht in den Sternen. Liegt es am Geld? Die ursprünglich mit 625 000 Euro veranschlagte Maßnahme wird im großen Stil aus dem Bund-Länder-Programm „Aktive Stadtteilzentren“ gefördert, an der Stadt sollten nach den Planungen lediglich 262 000 Euro hängen bleiben.
„Da weiß die rechte Hand nicht, was die linke macht.“ So der Eindruck von Christa Zimmer, Schwiegermutter des Brauhaus-Pächters Günther Ortmann. In der letzten Bauphase seien die Natursteine vor dem Lokalzugang allesamt herausgerissen worden, der Abgang zum Salsa-Keller war gesperrt, die Behindertenzufahrt auch. Am nächsten Tag habe ein „geschniegelter Herr von der Stadt“ vorbeigeschaut, sich fürchterlich aufgeregt und gefordert, das ganze wieder zuzumachen.
Natursteine gibt's an dem einst schönen Brauhaus-Eck jetzt keine mehr, dafür schwarzen Teer, ein Flickwerk, das direkt in den Pflasterbelag des Marktplatzes mündet, wenig ansehnlich. Christa Zimmer: „Irgendwann sollen wieder Natursteine verlegt werden, die nächste Baustelle kommt bestimmt.“
Dabei hat diese dem Geschäftsbetrieb im Vorzeigelokal am Marktplatz schon genügend Abbruch getan. Wegen der Zugangsmöglichkeiten und auf der Terrasse sowieso: „Viele sind nach kurzer Zeit aufgestanden, haben gesagt, dass sie sich den Staub und den Lärm nicht antun wollen.“ Zimmer: „Das war Geschäftsschädigung hoch drei!“
Ähnliche Erfahrungen hat Claudia Stühler vom Café Schreier gegenüber gemacht, die von schlechten Zugangsmöglichkeiten spricht, einer insgesamt „ungemütlichen Zeit“ mit viel Lärmbelästigung im Café. Sie klagt überdies: „Informationen seitens der Stadt gab es nie.“ Und auch Christa Zimmer moniert: „Niemand ist auf uns zugekommen, hat uns aufgeklärt. Was wir wissen wollten, haben wir bei den Bauarbeitern erfragt.“
Thema Ausweichverkehr. Dreimal hat die Redaktion eine halbe Stunde in der Rückertstraße gezählt. Am Dienstag um 8.30 und am Mittwoch um 9.30 Uhr passierten 38 beziehungsweise 41 Fahrzeuge (ohne Busse und Taxis) den „Kontrollpunkt“ Ecke Burggasse. Am Donnerstag von 11 bis 11.30 Uhr, also außerhalb der um 11 Uhr endenden Lieferzeit, waren es aber auch 32 großteils Pkw-Fahrer, die vom Markt kommend die Rückertstraße durchfuhren, einige darunter, die von der in einer Fußgängerzone geltenden Schrittgeschwindigkeit – sieben Stundenkilometer! – offensichtlich keine Kenntnis hatten. Radfahrer und Passanten sind in der City zur Zeit jedenfalls auffällig oft auf der Flucht. Und die Geschäftswelt sauer, weil die Fußgängerzone Durchgangsstraße ist.
Freilich: Hier bemüht sich die Stadt, kontrolliert ab 11 Uhr regelmäßig, bestätigte Sicherheitsreferent Jürgen Montag. Ihr Verkehrsüberwachungsdienst (VÜD) darf kontrollieren, weil die Stadt die entsprechende Option gezogen hat. Im März hat der VÜD 116 Geldbußen verhängt. 85 Mal wegen des Fahrens im Fußgängerbereich, kostet 15 Euro.
Und 31 Mal, weil die Autofahrer entgegen der Einbahnstraße ausgefahren sind. Das waren Autolenker, die vom Rückert-Center kommend Richtung Marktplatz ein-, oder vom Marktplatz über die Brückenstraße ausgefahren sind. Beides ist nicht erlaubt. Kostet übrigens 20 Euro.
Krux nur ist: Weil die Stadt diese Kontrollfunktion für die City übernommen hat, hat die Polizei ihr Engagement dort reduziert.
Bleibt das Thema Taxistandverlegung und Auswirkungen auf Elena Karpovas Fruchtbar am oberen Markt. Die Taxen warten jetzt dort, wo einst im Freien frisch Gepresstes geschlürft wurde. Ihre gen Süden verlegte Außengastronomie hat Karpova noch nicht eröffnet, dafür aber inseriert sie den kompletten Betrieb mittlerweile im Internet, sucht einen Nachfolger. „Eigentlich will ich nicht aufhören“, sagt Karpova, „aber vielleicht ist die Stadt ja nicht zufrieden mit mir und glaubt, ein anderer könne es besser. Der soll das dann auch machen...“