Blumenarrangements an den Fenstern verhelfen nicht nur der Steinfassade des Wohnhauses aus der Jahrhundertwende zum Leben. Sie verdeutlichen auch: In diesem historischen Dreiseithof in Wernecks Ortsmitte gedeiht mit viel Kreativität das Geschäftsleben – ein besonderer Blumenladen und, von außen nicht sichtbar, ein Ingenieurbüro. Hier wird der Beweis erbracht: So geht Arbeiten im Altort.
Der Verkehr rollt trotz Umgehung geschäftig durch die Julius-Echter-Straße. Durchs offene Fenster des modernen Büros von Christian Leber im ersten Stock des Sandsteinhauses mit der Nummer 1 dringen Fahrgeräusche. Den Ingenieur stört das nicht. Er sitzt am Schreibtisch, telefoniert mit einem Kunden. Hier ist er mittendrin, an der Kreuzung zur Schönborn- und Meininger Straße. Hier ist der Sitz der Ingenieurgesellschaft IGL, dessen Mit-Geschäftsführer Leber ist. „Wir sind bundesweit tätig“, sagt Leber über das Büro für Ingenieurvermessung, Rohrleitungsbau oder GIS-Projekte. „Werneck liegt da strategisch und verkehrstechnisch gut.“
Dass die Standortwahl auf das über 100 Jahre alte Anwesen fiel, war Zufall. Lebers Ingenieurbüro saß schon seit Jahren in Werneck, allerdings zur Miete. Er war auf der Suche nach eigenen Räumen, als ihn ein Gemeinderat auf das „Stumpf“-Anwesen ansprach. Über Jahre stand das zentrale Gehöft leer, das schon die Bezirks-Sparkasse, eine Kohlenhandlung oder einen Friseurladen beherbergt hatte. Schließlich gehörte es der Gemeinde, die dort ein Museum einrichten wollte. Der Plan scheiterte an einem Bürgerbegehren. Statt in ein Museum wollten die Bürger ins Freibad Schraudenbach investieren.
Eine Besichtigung des Anwesens offenbarte zwar Müll und Schutt ohne Ende, hässliche Böden und marode Versorgungsleitungen. Aber Christian Leber spürte: „Hier schlummert etwas, das aufgeweckt werden muss“. Sein Faible für die Geschichten dieses Hauses, gepaart mit der Erfahrung seines Berufes, ließen den Entschluss reifen, das Anwesen gemeinsam mit seiner Frau Ruth Irblich zu kaufen. Zumal die Bausubstanz des Haupthauses gesund war.
Mit der Gemeinde wurde er sich einig und machte sich mit Handwerksfirmen und der Unterstützung des Bau erfahrenen Vaters an die Renovierung. Die Außenfassade blieb, nur die Fugen zwischen den Sandsteinen will Leber noch erneuern lassen. Neue Fenster im alten Stil geben dem Haus das historische Gesicht.
Im Innern mussten von den Böden oft mehrere Schichten entfernt werden. Zum Vorschein kamen teilweise Holzdielen, die aufgearbeitet, oder Fliesen, die ideenreich ergänzt wurden. An den Wänden entdeckte der Vermessungsingenieur unter mehreren Verputzschichten Reste der Bemalung durch alte Walzentechnik. Überall im Haus hat er Ausschnitte davon in den neuen Lehmputz und -anstrich integriert. Ebenso sichtbar gemacht wurden Teile alter Backsteinmauern. Völlig neu sind Elektroleitungen, Installation, die gesamte Ver- und Entsorgung. Das Dachgeschoss wurde komplett isoliert. Geblieben ist die Raumstruktur des Hauses.
Noch vor Beginn der Renovierung hatte sich Christian Leber einen Mieter für das Erdgeschoss gesucht, in Birgit Schmitt und ihrem besonderen Blumenladen fand er ihn. Das Fenster zum Hof wurde zur Tür. Dort nutzt die Geschäftsfrau die Ausstellungsfläche für ihre Pflanzen.
Im Obergeschoss richtete die Ingenieurgesellschaft ihre Büroräume ein. Außerdem erschloss Leber durch eine neue Treppe in den Dachboden weitere Arbeitsplätze. Unterm steilen fränkischen Dach fanden ein modernes Großraumbüro und ein separates Zimmer Platz. Zwei ehemalige kleine Kammern bilden heute einen originellen Besprechungsraum. Zwischen den freigelegten Holzbalken sorgt eine futuristische Beleuchtung für reizvollen Kontrast.
Nicht geplant war die Erneuerung des Daches der rechtwinklig zum Haus stehenden Scheune sowie des angrenzenden Stalles. „Die Ziegel waren kaputt, die Balken hatten gelitten“, denkt Leber zurück. „Sieben Wochen vor der geplanten Eröffnung haben wir damit begonnen.“ Auch ein Ringanker war für das Nebengebäude nötig. Die ungeplante Sanierung bescherte aber noch einmal viel Raum unterm Scheunendach, der jetzt der Mitarbeiterküche, einem Lager, einer Galerie und weiteren Arbeitsplätzen zugute kommt.
Insgesamt bietet jede Etage 100 Quadratmeter. Zudem schafft der Bauherr im Keller zum Mühlberg hin sowie im Erdgeschoss der ehemaligen Scheune weitere Ladenfläche, die er vermieten will. Damit der vor dem Wohnhaus liegende Hof mit den schönen Pflanzen von der Straße her einsehbar wird, soll das hölzerne Tor einmal durch ein schmiedeeisernes ersetzt werden. „Ich habe noch einige Ideen“, meint Christian Leber. „Fertig bin ich noch nicht.“
Am „Tag der Innenentwicklung“ der Interkommunalen Allianz Oberes Werntal am 8. September ist das Anwesen an der Wernecker Julius-Echter-Straße 1 von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Christian Leber führt Besucher auch innen durch das Gebäude.