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SCHWEINFURT: Arzt intubiert falsch: Junge Frau erstickt

SCHWEINFURT

Arzt intubiert falsch: Junge Frau erstickt

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    Zu behandeln waren vier Weisheitszähne, ein Routine-Eingriff. Wegen ihrer Angst will die 23-jährige Patientin eine Vollnarkose. Der Anästhesist einer Gemeinschaftspraxis, der das regelmäßig beim Zahnarzt der jungen Frau übernimmt, führt den Intubationsschlauch irrtümlich in die Speise- statt in die Luftröhre ein und korrigiert den ärztlichen Fehler wegen weiterer fataler Fehleinschätzungen nicht rechtzeitig. Die junge Mutter erstickt, stirbt in der Praxis.

    Am Amtsgericht musste sich nun der erfahrene Arzt wegen fahrlässiger Tötung verantworten. Der 57-Jährige arbeitet seit 1993 als Anästhesist, 800 Narkosen macht er pro Jahr. Immer wieder auch in der Zahnarztpraxis, wo ein Narkosegerät steht. Dieses ist Baujahr 1992 und nicht mehr auf dem Stand der Technik.

    Es fehlt ein Messgerät, das den Gehalt der Ausatemluft an Kohlenstoffdioxid (CO2) eines Patienten misst und überwacht. Die Gemeinschaftspraxis des Anästhesisten verfügt aber über eine mobile, so genannte Kapnometrie, die problemlos ans Narkosegerät anzuschließen ist. Der Anästhesist verzichtete aber.

    Warum? Er sei sicher gewesen, den Tubus richtig gesetzt zu haben, sagt er aus. Das mobile Gerät, so schildert es die bei der Tragödie eingesetzte Anästhesieschwester, habe man an diesem Tag gar nicht mitgenommen, weil der Anästhesist in dieser „Außenstelle“ immer auf das Kapnometrie-Messgerät verzichtet habe.

    Gericht, Staatsanwalt und der Anwalt der Eltern der Toten, die als Nebenkläger auftreten, sind über diese Aussage erstaunt. Der Angeklagte hatte nämlich kurz zuvor mitgeteilt, das Gerät üblicherweise einzusetzen. Nun korrigiert er diese Aussage, räumt ein, das Messgerät in der Zahnarztpraxis „aber häufig“ benutzt zu haben. Er habe das Narkotisieren noch vor der Kaptometrie-Zeit erlernt. „Ich dachte, ich kann das genauso gut wie mit“. Eine verhängnisvolle Entscheidung.

    Es ist nicht der einzige gravierende Fehler. Weil Luft in den Magen gepumpt wurde, verschlechtert sich der Zustand der jungen Mutter eines heute fünfjährigen Buben zusehends. Als er nicht mehr weiter weiß, lässt der Angeklagte einen Kollegen der Gemeinschaftspraxis rufen. Ihm teilt er mit, dass er sich nach wie vor sicher sei, dass der Tubus richtig sitzt. Deshalb prüft der Kollege das nicht sofort, wenig später stellt er das Debakel aber fest. „Mist“, habe er gesagt, erinnert sich die Arzthelferin. Der zweite Arzt korrigiert den Fehler, aber es ist zu spät. Auch die gerufenen Sanitäter und ein Notarzt können das Leben der jungen Frau nicht mehr retten.

    Die Rechtsmedizinerin berichtet, dass sie und ihr Kollege „zum ersten Mal von einer Fehlintubation berichtet haben“. Ausgangslage vor der Obduktion war nämlich folgende: Wegen der Korrektur lag für sie der Tubus richtig in der Luftröhre und außerdem sei ihnen „zugetragen worden“, dass die vermutete Todesursache eine allergische Reaktion auf ein gespritztes Medikament gewesen sei. Aber: Die Rechtsmediziner stellten frische Verletzungen in der Speiseröhre fest.

    Gravierende Fehler

    Die Sachverständige widerlegt die Aussage des Angeklagten, dass sich der Oberkörper der Patientin seitengleich gehoben habe. „Anatomisch ist das nicht erklärbar“, erklärt die Rechtsmedizinerin dazu. Die junge Frau sei durch ein „verlängertes Ersticken“ gestorben, vergleichbar einem Erwürgen.

    Auch das Gutachten des zweiten Sachverständigen ist vernichtend. Dieser Anästhesist nennt den Einsatz eines Messgeräts heutzutage verpflichtend. „Man kann auf das Gerät nicht verzichten“. Der Angeklagte habe auch genügend Warnhinweise erhalten. Für eine Neu-Intubierung – also Schlauch in die Luftröhre wechseln – „wäre genug Zeit gewesen“. Und noch schlimmer: Die 23-Jährige hätte auch überlebt, wenn der Arzt eine Kehlkopfspiegelung gemacht hätte. Sie hätte ihm die Fehllage des Tubus gezeigt.

    „Es wäre in der Tat leicht gewesen, das zu korrigieren, als erfahrener Arzt hätte ich das machen müssen“, sagt der Angeklagte aus, der wiederholt, dass er bis zuletzt davon ausgegangen war, dass der Tubus „richtig liegt“. Er hat nach der Tragödie nicht mehr gearbeitet und befindet sich bis heute in psychotherapeutischer Behandlung. Die Gemeinschaftspraxis hat er verlassen. Fast zwei Jahre nach dem Vorfall vom September 2011 arbeitet er, um „wieder Struktur zu kriegen“, an einer Klinik mit einer Viertelstelle als Anästhesist und zeitweise als Notarzt.

    Was der Oberstaatsanwalt nicht verstehen kann, weil ein Notarzt Stresssituationen erlebe, man oftmals intubiert müsse. Deutliche Worte findet der Ankläger im Plädoyer. Die junge Frau habe ihr Leben verloren, weil der Angeklagte „seiner ganz besonderen Verantwortung in keiner Weise gerecht wurde“. Die Vielzahl der laut der Sachverständigen „nicht nachvollziehbaren“ Fehler erstaune. Es habe „massive Warnhinweise“ missachtet, auf eine Kehlkopfspiegelung verzichtet, auf den Einsatz des Messgeräts verzichtet, „weil Sie sich überschätzt haben“. Der Ankläger fordert zwei Jahre mit Bewährung und der Geldauflage von 20 000 Euro.

    Der Anwalt der Eltern und Geschwister, die oft tränenüberströmt zuhören, schildert das Debakel der „tieftraurigen Familie“ und die gravierende Bedeutung für das Kind, ohne Mutter aufzuwachsen.

    Dass der tragische Fall auch für seinen Mandanten eine Katastrophe sei, erklärt der Verteidiger. Die finanzielle Wiedergutmachung habe er beschleunigt. Bei denkbaren Reaktionen des Standes sei seine wirtschaftliche Existenz gefährdet.

    Das Urteil: Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, zur Bewährung mit der Auflage, 20 000 Euro an „Ärzte ohne Grenzen“ zu zahlen. In seinem letzten Wort hatte der Arzt den Angehörigen sein tiefes Mitgefühl ausgedrückt. Weil er das mit Blickrichtung Gericht tat, schrie der Bruder der Toten entrüstet, er solle die Angehörigen direkt ansprechen. Bis zum Prozess hatte sich der Arzt nicht entschuldigt.

    Die Mutter der Toten musste von Weinkrämpfen geschüttelt den Gerichtssaal mehrmals verlassen. Berufliche Konsequenzen durch die Landesärztekammer bis hin zur Aberkennung der Approbation sind bei einer solchen Strafhöhe nicht ausgeschlossen.

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