Schade, dass es für das Wort Heimat keine Mehrzahl gibt. Denn Eckhard Froeschlin hat mehr als nur eine. Seine künstlerische Heimat ist die Radierung. In dieser Drucktechnik bewegt er sich mit traumwandlerischer Sicherheit und wagt sich an ungewöhnlich große Formate, deren Wirkung enorm ist. Auch die Lyrik ist Heimat für ihn. Tief taucht er ein in Leben, Werk und Persönlichkeit von Hölderlin, Kleist, Pound oder Borges und schöpft daraus für sein eigenes Schaffen. Der Umzug ins Hohenlohische vor zwölf Jahren hat ihm den Blick für die Landschaft geöffnet, die nun sein zweites Lebensthema, also auch eine Art Heimat ist. Und sein neues geografisches Zuhause, das enge Donautal bei der Stadt Scheer, hat ihn noch einmal neu inspiriert. Bliebe nur noch Nicaragua zu erwähnen, aber davon später mehr.
Unter dem schönen Titel „Bilderfinden“ stellt der 60-jährige Froeschlin in Schweinfurt aus: Radierung und Malerei im Salong des Kunstvereins und Buchkunst im Museum Otto Schäfer (MOS). An beiden Orten gibt es jeweils einen Verweis auf den anderen. So steht mitten im Kunstsalong ein fragiles, rund sechs Meter langes Leporello: Froeschlins Antwort auf den Monolog „Proudly Walking“ des Stephen Dedalus aus dem „Ulysses“ von James Joyce. Der Künstler illustriert nicht, seine Radierungen sind eher freie Assoziationen zu dem Text, der ihn fasziniert.
Eine Mappe mit zehn sehr dramatischen Porträt-Radierungen (zu sehen im MOS) verrät, wer seine wichtigsten Dichter sind: neben den genannten noch Nietzsche, Jacob und Wilhelm Grimm, Antonin Artaud, Robinson Jeffers und Pablo Antonia Cuadra. Kein deutscher Zeitgenosse dabei. Aber viele Künstler, die sich in Grenzbereichen bewegen, deren wunderbare Dichtung oft im Gegensatz zu ihren „hässlichen Biografien“ stehen, wie es Froeschlin formuliert. Ihnen widmet er nicht nur Künstlerbücher, also in seinem eigenen Verlag „Edition Schwarze Seite“ gedruckte Bücher in kleinen Auflagen, deren Texte er meist mit Blei von Hand setzt – sondern auch seine faszinierenden großformatigen Solisten: Zwei Meter hohe Radierungen, die in einem aufwendigen, montageartigen Prozess entstehen.
Einige Exemplare sind im Kunstsalong zu sehen. Sie ziehen sofort den Blick auf sich. Die Gesichter der Dichter sind porträthaft und nahe an der Wirklichkeit. Diesen Köpfen gibt Froeschlin Körper, Accessoires und eine Umgebung, die voller Bezüge auf das jeweilige Leben stecken. Jorge Luis Borges, der blinde argentinische Schriftsteller, stützt sich auf ein Schwert in den Farben des argentinischen Militärs. Er steckt bis zu den Knien in einem Labyrinth – das große Thema in seinem Werk. An der Brust trägt er einen stilisierten Orden. Hier spielt Froeschlin auf den Orden an, den Borges, ein fanatischer Anhänger des Militärs, vom chilenischen Diktator Augusto Pinochet angenommen hat.
Froeschlin übt keine laute Kritik, eher scheint er die Aufmerksamkeit auf die großartige Literatur seiner Protagonisten lenken zu wollen. Keine Angst: Man muss kein Fachmann für Borges oder Hölderlin sein, um in diese Ausstellung zu gehen. Aber vielleicht motiviert das eine oder andere Bild, sich mit einem dieser Dichter intensiver zu befassen.
Auch wenn die Radierung nach wie vor die Hauptrolle in Froeschlins Schaffen spielt und sich hier sein ganzes Können zeigt, lohnt auch ein Blick auf die Pastellmalerei. Da widmet er sich derzeit der Landschaft, speziell dem Donaudurchbruch bei Scheer. In seinem Künstlerbuch „Der Ister“, das sich auf Hölderlins gleichnamige Donau-Hymne bezieht, hatte er sich bereits mit dem Flussabschnitt befasst, bevor er in genau diese Landschaft gezogen ist.
Ausgangspunkt sind immer kleine, skizzenhafte Aquarelle, die in der Natur entstehen. Daraus entwickelt Froeschlin entweder kleinformatige Radierungen oder Pastellmalerei auf Papier. Auffallend ist, dass der 60-Jährige meist von oben auf die Landschaft blickt und Details hervorhebt: eine Brücke, Bäume am Ufer, eine Stromschnelle. Seine Pastellmalerei ist oft großflächig und näher an der Wirklichkeit als die Radierungen, in denen er unterschiedliche Details zu einer Art Collage zusammenfügt.
Besonders gut zu sehen ist das bei der neuesten Landschafts-Radierung, zu der ihn die Gegend nördlich von New York inspirierte. Bliebe noch Nicaragua zu erwähnen, ein Land, das er oft besucht, seit er dort 1998 eine Künstler-Druckwerkstatt gegründet hat. Hier gibt er bis heute sein Wissen über die Herstellung von Papier und die unterschiedlichsten Drucktechniken weiter. Die Dichter dort inspirieren ihn wiederum zu eigenen Projekten.
Eckhard Froeschlin: „Bilderfinden“, Radierung, Buchkunst, Malerei. Bis 2. März, Kunstsalong und Museum Otto Schäfer. Finissage 2. März, 11 Uhr, MOS.