Olaf (Name von der Red geändert) ist Autist. Was geht in ihm vor? Wie sieht er die Welt? Welche Eindrücke dringen zu ihm durch? Genau weiß das niemand. Um so mehr freuen sich Sabine Ponton und Werner Kraus über die Fortschritte, die der junge Mann Mitte 20 gemacht hat, seitdem er in die Tagesförderstätte für Menschen mit Autismus geht, die die Lebenshilfe am Hainig betreibt. Ponton leitet die Tagesförderstätte, Kraus das Rehabilitations- und Arbeitswerk. Zwischen beiden Einrichtungen gibt es Berührungspunkte.
Olaf war früher aggressiv – vor allem gegen sich selbst. Er trug einen Helm, Schienen an Armen und Beinen, saß, um ihn vor Verletzungen und Aggression zu schützen, im Rollstuhl. Das ist vorbei. Olaf hat einen Platz gefunden in seiner und unserer Welt. Er arbeitet gerne mit, scheint dadurch auch Selbstvertrauen gewonnen zu haben. Er ist ruhiger geworden. Er ist ein Teil von etwas geworden. Obwohl er Autist ist.
Früher sind Autisten in sich geblieben, sagt Einrichtungsleiterin Sabine Ponton. Ohne Anleitung auf beiden Seiten können sie nicht kommunizieren. Muster haben sich eingeschlichen, die den Umgang mit einem autistischen Kind sehr schwer machen. Wenn der Bauch weh tut, das Kind Aufmerksamkeit will und braucht, hat es dann vielleicht seine Eltern gezwickt. Es gibt Wege, mit Autisten zu kommunizieren. Sabine Ponton kennt sie. Mit einen frohen und einem traurigen Smiley auf einer Karte zum Beispiel. Wobei es schon vorkommen, dass jemand fröhlich lacht und gleichzeitig die Zeichnung mit den hängenden Mundwinkeln hochhält, um seinen Gemütszustand zu zeigen.
Einem Mädchen, das sich nicht so recht ausdrücken kann, hat Ponton gesagt. „Steh auf, wenn es dir nicht gut geht.“ Die Botschaft kam an, das Mädchen hat sich wahrgenommen gefühlt. Sie hat kommuniziert. „Man muss mit den Menschen sprechen“, sagt Ponton, auch wenn das ein langer Prozess sein kann.
Kommunizieren geht auch über eine Art Tastatur-Tafel. Rokaja macht's vor. Eine Mitarbeiterin stützt ihren Arm und sie tippt auf Buchstaben. Die Botschaft: „Ich will lieber arbeiten.“ Tobias freut sich, als auch er an die Schreibtafel kann und legt munter los. Manchmal geht die Kommunikation über Symbole oder Bilder. Oder auch Gegenstände. Für Olaf war ein Löffel das Symbol für Essen, ein Stück Karton stand für Arbeit.
Die Unfähigkeit zur Kommunikation, die mit Autismus einhergeht, macht die Eltern am meisten fertig. „Es gibt Eltern, die zerbrechen daran.“ Keinen Zugang finden, Ablehnung von Nähe, von Körperkontakt, auffälliges Verhalten, Aggression gegen sich und andere . „Manche Eltern können nicht mehr “. Um so wichtiger wäre daher ein Wohnheim, das eine Abteilung für Autisten hat. So etwas gibt es in der Region nämlich noch nicht.
Autisten brachen Deutlichkeit, klare Regeln. Mit Metaphern, Botschaften die über Körpersprache oder Mimik gesendet werden, Sachen, die zwischen den Zeilen stehen, können sie nicht anfangen. Und sie wünschen sich eine ernsthafte Beschäftigung. „Wir sind keine Krabbelkinder“, der Satz fiel mal. Mit einer Aufgabe wächst das Selbstvertrauen, sie gibt wohl auch Stärke.
Ponton und Kraus beobachten, wie die Autisten in der Tagesförderstätte , übrigens der ersten in Unterfranken, auch miteinander in Beziehung treten, gemeinsam an einem Tisch sitzen und arbeiten. Etiketten auf Briefe kleben, zum Beispiel. Woanders werden Stifte sortiert, ein junger Mann macht Puzzles.
Die Beziehung zum Personal ist natürlich eng – nur gibt es keine festen Betreuer, die Bezugspersonen wechseln regelmäßig. Würde eine feste Begleitung plötzlich fehlen, könnte das schwierig werden, überwunden geglaubte Auffälligkeiten wieder zum Vorschein bringen. Olaf, Tobias und Rokaja sind mittlerweile mit den anderen spazieren gegangen. Auch das gehört zum Tagesablauf. Einem Mädchen geht es heute nicht so gut. Sie hat sich unter eine Decke gekuschelt, wird ganz sanft mit einem Igelball an der Hand gestreichelt. Auch eine Art von Kommunikation.
Autismus und die Lebenshilfe
Autismus: Eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, oft verbunden mit Mehrfachbehinderung. Meist angeboren oder vor dem dritten Lebensjahr manifestiert. In den folgenden drei Bereichen werden die Symptome deutlich: im sozialen Umgang mit Mitmenschen, in der Kommunikation und in sich stets wiederholenden Handlungen. Nach einer Schätzung der Lebenshilfe sind in Unterfranken 7000 Menschen Autisten.
Es gibt kein einheitliches Krankheitsbild, Autismus tritt in verschiedenen Prägungen und Schweregraden auf . Menschen mit Autismus nehmen die Welt anders wahr, lernen anders, haben andere Werte, Regeln und Interessen. Sie erleben die Welt als überwältigende Flut von Eindrücken. Autismus ist nicht heilbar. Menschen mit Autismus sind in der Regel mehrfachbehindert. 75 Prozent haben eine geistige Behinderung, wobei die kognitiven Teilleistungen sehr unterschiedlich ausgeprägt sein können.
Lebenshilfe und Autismus: Ziel ist es, Autisten und ihre Eltern von der Früherkennung bis zum Alter zu begleiten. Dazu gehören die Frühförderung, die Schulen, die Tagesstätten, die Werkstätten, Wohnen und Offene Hilfen sowie Hilfe durch den Familienentlastenden Dienst der Lebenshilfe.
Tagesförderstätte: Diese Einrichtung gibt es seit 2008, seit zwei Jahren sitzt sie in der Karl-Götz-Straße im Hainig. Zielgruppe sind Erwachsene ab 18 Jahren. Zur Zeit werden zehn junge Männer und Frauen betreut.
Quelle: Lebenshilfe/Bundesverband Autismus