Man freut sich über die Schwangerschaft, das erste Ultraschallbild, die ersten Bewegungen des Babys im Mutterleib. Man richtet ein Kinderzimmer ein, liest Literatur über Geburt, Babynahrung und Kindererziehung und hat den passenden Namen für das kleine Mädchen oder den kleinen Jungen schon lange gewählt. Doch dann kommt alles anders.
Es ist mit Sicherheit einer der schwersten Momente im Leben von werdenden Eltern, wenn ihr Kind still auf die Welt gebracht wird oder sie erfahren, dass es bei der Geburt oder danach sterben wird. „Sie befinden sich in einem absoluten Ausnahmezustand, fühlen sich verloren und überfordert mit ihrer Trauer“, beschreibt Hebamme Martina Fiedler aus dem Schweinfurter Leopoldina-Krankenhaus die Situation. Sternenkinder werden die Kinder genannt, die in der Schwangerschaft oder während oder kurz nach der Geburt sterben. Am kommenden Sonntag, 15. Oktober, gedenken die Eltern am „Weltsternenkindertag“ ihrer Verstorbenen.
Abschied nehmen
Wichtig sei, dass Eltern im Krankenhaus von ihrem Kind Abschied nehmen können, es vielleicht auch streicheln oder in den Arm nehmen, sagt Fiedler. Doch alles ohne Druck. „Manche Eltern brauchen eine Weile, bis sie ihr Kleines berühren können.“ In der Regel ein bis zwei Tage haben sie Zeit, um sich zu verabschieden.
Die Hebammen im Leopoldina und auch Seelsorger kümmern sich um die Trauernden, und manchmal werden die Babys auch noch getauft. „Das gibt manchen Eltern ein besseres Gefühl sie ziehen zu lassen“, sagt Fiedler. Kleine Strampler, Bodys und Schühchen gibt es im Leopoldina für die oft zu früh Geborenen – ehrenamtliche Helfer haben die Kleidung genäht. Für die Eltern gibt es auch die Möglichkeit Fotos von ihrem Baby machen zu lassen.
So wurde Monika Benkert aus Bad Königshofen schon das eine oder andere Mal zum Fotografieren ins Leopoldina gerufen, egal ob Tag oder Nacht. Die gelernte Erzieherin und selbstständige Fotografin ist sofort zur Stelle, „wenn es nur irgendwie geht“.
Vor einigen Jahren stieß sie auf das deutschlandweite Netzwerk „Hope's Angel“, das Eltern bei Fehlgeburten und stillen Geburten begleitet. Im Freundeskreis hatte sie zwei stille Geburten und das Leid der Eltern miterlebt, „so, dass ich das Gefühl hatte, irgendwie helfen zu wollen“. Seitdem arbeitet sie ehrenamtlich für das Netzwerk, vor allem fotografiert sie Eltern mit ihrem verstorbenen Kind - als Erinnerung.
„Es ist wichtig, dass Eltern eine Erinnerung an ihr verstorbenes Kind haben“
„Natürlich geht mir der Tod eines Babys immer nahe, aber bei meiner Arbeit im Seniorenheim habe ich gelernt, mit dem Tod umzugehen. Er gehört zum Leben dazu“, erklärt sie. Einfach nur da zu sein, sei das Wichtigste für die Eltern, denen solch ein Schicksalsschlag widerfahren ist. Denn: „Egal, was man sagt, es hilft in dem Moment nicht. Es wird eben nicht wieder gut, denn das Kind kommt nicht wieder zurück.“
Leider seien Fotografien der Sternenkinder immer noch für viele Menschen ein Tabuthema. „Dabei ist es so wichtig, dass Eltern eine Erinnerung an ihr verstorbenes Kind haben. Es ist doch das Einzige, das ihnen bleibt.“ Selbst, wenn in der akuten Trauerphase ein Foto nicht erwünscht ist, könne es sein, dass es nach vielen Jahren zur Trauerbewältigung oder als Erinnerung wichtig wäre, so die 39-Jährige. „Auch für Geschwisterkinder bekommt der Bruder oder die Schwester dadurch ein Gesicht, das nicht in Vergessenheit gerät“, erklärt sie.
Diskret bleibt Benkert beim Fotografieren im Hintergrund, richtet sich nach dem, was sich die trauernden Eltern vorstellen können. Zwischendurch fließen Tränen, „auch mal bei mir“, sagt sie. So sind es mal nur Händchen und Füßchen, die sie fotografiert, mal das in Decken eingewickelte Baby mit einer Mütze auf. „Manche Eltern wollen ihr Kind aber auch in den Arm nehmen und ein Familienfoto machen.“
Auch Omas und Opas sind öfter dabei, die noch eine Erinnerung an ihr Enkelkind haben möchten. „Ich versuche bei meiner Arbeit ganz behutsam zu sein und mich in die Menschen reinzuspüren.“
Wenn ein Baby Mama oder Papa verblüffend ähnlich sieht, sagt Benkert auch mal: „Mensch, er hat ja genau Ihre Nase oder Ihre Augen.“ Nicht verstehen kann sie Kommentare, die manchmal aus dem Bekanntenkreis der Eltern kommen, wie „Ihr seid doch noch jung, bekommt bestimmt noch ein Kind“. „Jedes verlorene Kind ist ein großer Verlust. Und kein Kind ersetzt das andere“, sagt sie bestimmt.
Vielfältige Ursachen für Abort
Über zehn Spätaborte – das heißt etwa nach der 17./18. Schwangerschaftswoche – und bisher fünf Totgeburten (darunter zählen Babys mit einem Geburtsgewicht über 500 Gramm) verzeichnet das Schweinfurter Krankenhaus in diesem Jahr. „Leider passiert solch ein Schicksalsschlag immer wieder und wir versuchen, die Eltern so gut es geht zu begleiten“, sagt Hebamme Martina Fiedler.
Die Ursachen sind vielfältig, so könne beispielsweise ein frühzeitig geöffneter Muttermund eine Frühgeburt auslösen, auch die starke Behinderung eines Kindes im Mutterleib könne eine Rolle spielen ebenso wie eine Nabelschnur, die sich verknotet hat. „Manchmal gibt es aber auch keinen offensichtlichen Grund. Das Herz hört auf zu schlagen, und es ist nicht ersichtlich warum. Ein Stück weit ist es einfach die Natur.“
Als kleines Trostpflaster bekommen die Eltern im Leopoldina neben einer Sternenkinderkerze zum Beispiel zwei Engel zum Anstecken – einer bleibt beim Kind, einer bei der Mutter. „Das sind alles greifbare Erinnerungen, die auch für später wichtig sind“, so Fiedler. Seit Kurzem gibt es für die Kleinen im Krankenhaus auch liebevoll geschnitzte Schalen aus Holz, die als Bettchen genutzt werden. Der Vater einer Hebamme, der Wood-Artist Jesse Cobb, hat sie extra dafür angefertigt.
Im Netzwerk „Hope's Angel“ finden Betroffene Begleitung von der Schwangerschaft und Geburt über die Abschiedszeit und Bestattung bis hin zur Trauerbegleitung: www.hopesangel.com