Wenn nun schon mal Crossover das Markenzeichen des Nachsommers sein soll – zum Abschluss der diesjährigen Veranstaltungsreihe gab es diesbezüglich eine echte Mixtur in der ausverkauften Kunsthalle: Die Pianistin, Sängerin und Komponistin Aziza Mustafa Zadeh verblüffte und begeisterte ihr Publikum mit solch einer Power-Performance, die man der zierlichen, eher scheuen Künstlerin so nicht zugetraut hätte. In ihrem technisch brillanten Klavierspiel verbindet sie einzigartig Klassik, Jazz und Avantgarde mit dem Mugam, einer modalen Musikform ihrer Heimat Aserbaidschan.
Mit den ausgezeichneten Jazzmusikern Ralf Cetto am E-Bass und Simon Zimbardo am Schlagzeug ist das Trio komplett und es stellt sich mit „Singing nature“ vor. Das Thema besteht aus kurzen Ostinato-Phrasen, die sich im Verlauf des weiteren Stücks – minimal verändert und dynamisch verstärkt – wiederum ständig wiederholen. Dieses Kompositionsprinzip verwendet die Künstlerin oft. Damit versetzt sie ihre Hörer quasi in endlose Klangwelten – manchmal wirkt das allerdings schon etwas monoton. Trotzdem, zusammen mit ihrer blendenden Technik, unterstützt durch E-Bass, Schlagzeug und Mischpult entsteht so der Eindruck eines gewaltigen Kraftfeldes, das auch die Zuhörer erfasst.
Der erste Satz der „Spring Suite“ beginnt mit einem wunderschönen perlenden Thema, in dem man das erste Sprießen der frühlingshaften Flora erkennen mag. Der zweite Satz verstärkt diese neue Lebenslust in lyrischen Tonkaskaden, mit einem dritten, auftrumpfenden Thema im Up-Tempo geht die Suite zu Ende. Solch schnelle Tempi voller Intensität finden sich auch in „Oriental Ornaments“ mit vielen Trillerverzierungen oder im folgenden „New Baku“.
Aber Mustafa Zadeh sorgt auch für leise Momente. „Vokalise“ ist eine ätherisch-andachtsvolle Gesangskomposition, die die Künstlerin ihrem früh verstorbenen Vater und Lehrer Vaqif Mustafazade widmet. Er war ein nicht nur in Aserbaidschan bekannter Pianist und Komponist, der 1979 bei einem Jazzfestival-Auftritt an einem Herzinfarkt verstarb. „Ich war damals zehn Jahre alt“, erzählt die Künstlerin, „es war das einzige Jazzfestival, das wir zusammen besuchen konnten“. Die textlose Melodie singt Aziza so beseelt und anrührend, dass nach dem Schlussakkord vor dem Beifall sekundenlange Stille herrscht.
Dann eine Kostprobe aus ihrer Opera-CD: „Ombra mai fu“ aus Georg Friedrich Händels Oper „Xerxes“ erklingt, Aziza singt die Arie mit wirkungsvoller und ergreifender Schlichtheit. Warum diese schöne Melodie – eine Liebeserklärung von Xerxes an die schattenspendende Platane – allerdings durch Schlagzeug- und dröhnende Bassschläge zerhackt werden muss . . . In „September Ballad“ wetteifern Azizas virtuose Technik mit dem Einfallsreichtum ihrer Improvisationen.
Gershwins „Summertime“ gestaltet Aziza zu einer eigenwilligen, wirkungsvollen Version: Textverstärkung durch Akzente im Klavier, wunderschöne Improvisationen mit Scat-Gesang – ein spannendes Zwiegespräch zwischen Piano und Stimme. Riesenapplaus, stehende Ovationen und als Zugabe „Introduction“. Das Publikum möchte noch mehr hören, doch die werdende Mama muss sich schonen: „Heute war ein schöner Tag für mich“, bekennt Aziza. „Ich komme gern wieder, ich umarme euch, Gott segne euch“.