„Wir versorgen tagtäglich 2,5 Millionen Menschen mit Mehl“: starke Worte von Philipp Cramer. Die Zahl ist freilich nicht wörtlich gemeint. Aber es könnte so sein, die Relation stimmt. In der Cramer-Mühle in Schweinfurt werden täglich 800 Tonnen Getreide – Weizen, Roggen, Dinkel – angeliefert und zu 600 Tonnen Mehl gemahlen. Und dies entspricht genau dem, was rechnerisch 2,5 Millionen Menschen zu sich nehmen.
Siebte Generation am Zug
Philipp Cramer ist in der siebten Generation Chef der 1806 gegründeten Cramer-Mühle. 2013 hat er die Nachfolge seines Onkels Johannes Cramer angetreten, der hier über Jahrzehnte bis ins hohe Alter von über 80 Jahren die Zügel fest in der Hand hielt.
Der 43-Jährige sitzt mit Blick auf den Main in einem winzigen Büro, das getrost für das stehen kann, was die Familienphilosophie der Cramers ausmacht. „Wir investieren nicht in Optik, wir investieren in Technik. Rund eine Million Euro sind das jährlich“, sagt der hoch aufgeschossene Mann, der aus dem Familienzweig der Cramers stammt, die sich seit Generationen eigentlich der Juristerei verschrieben hat.
Was es mit der Cramer-Mühle auf sich hat
„Das war nicht mein Ding, ich bin derjenige, der rausgeht.“ Darum hat Cramer Kaufmann und Müller gelernt und war dann weltweit unterwegs für den Bühler-Konzern in der Schweiz, der eine erste Adresse im Geschäft rund um die Mehlherstellung ist.
Dann folgte der Ruf ins Familienunternehmen. 70 Mitarbeiter sind in der zweitgrößten Mühle Süddeutschlands beschäftigt, darunter zwei Auszubildende. Rund 200 Kilometer im Umkreis umfasst das Kernabsatzgebiet. 80 Prozent des Mehls geht als „lose Ware“ mit einem der 18 schweren Lastzüge an Bäckereien, Großverbraucher, Bäckereiketten oder Hersteller von Tiefkühlpizza. Der Rest wird für den Handel verpackt, für Edeka zum Beispiel oder für Discounter.
Industrielle Produktion steht im Vordergrund
Dass bei einer Produktion von über 180 000 Tonnen jährlich von Mühlenromantik auf der Insel zwischen dem Fluss als Wasserstraße und dem Altmain nichts mehr zu spüren ist, versteht sich. Das ist industrielle Produktion, bei der es vor allem um günstige Kosten durch Leistung geht, „weil die Menschen nicht bereit sind, für Mehl etwas mehr auszugeben“. Die Qualität resultiert aus der Qualität des verwendeten Getreides, Unterschiede unter den Mühlen gebe es kaum. „Der Mehrwert entsteht beim Bäcker.“ So werde Frankenmehl aus zertifiziertem Weizen aus der Region gemahlen, mit Sortenvorgaben an den Landwirt für beste Backergebnisse.
Mühle als Stromerzeuger: Nur noch wenig
Selbst der Fluss als Antriebsspender der Mühle spielt fast keine Rolle mehr. 98 Prozent des Stroms bezieht die Mühle aus dem öffentlichen Netz. Sie versorgt aber auch parallel dazu die nahe Gemeinde Sennfeld seit Beginn des 19. Jahrhunderts mit Strom in der Grundlast. „Das ist quasi ein Nebenerwerb, der sieben bis acht Arbeitsplätze sichert.“
Industrielle Produktion heißt: arbeiten rund um die Uhr. Das Korn – während der Erntezeit sind das bis zu 1500 Tonnen täglich, die in den 27 000 Tonnen fassenden Silos gelagert werden können – wird vom Handel in großen Lastzügen, aber auch von einzelnen Bauern aus der Umgebung mit dem Traktorgespann angeliefert. Auch dies ist Cramer wichtig, „weil wir wollen, dass es den Menschen gut geht“.
Sofort nach Anlieferung werden Proben gezogen
Der Preis für das Korn wird dabei an der Pariser Börse gemacht. Eine Missernte irgendwo auf der Welt kann dann leicht dafür sorgen, dass das Getreide teurer wird. Der Preis je Tonne schwankt zwischen 180 und 240 Euro. Die meisten Großabnehmer bestellen ihr Mehl für ein ganzes Jahr bereits im Voraus, bevor das Getreide gewachsen ist. Über den Erwerb von Zertifikaten sichert sich die Mühle gegen Preissteigerungen ab, erklärt Cramer.
Das Labor, in dem vier Mitarbeiter beschäftigt sind, nimmt sofort nach Anlieferung des Getreides eine Probe, untersucht es auf Ungeziefer- und Pilzbefall und schickt es nach Qualität sortiert in die 80 Silozellen, von wo aus es in die Reinigung pneumatisch transportiert wird. Steine und allerlei Kleingetier, das von Feld mit in die Mühle gekommen ist, werden „ausgereinigt“, dann jedes Korn mit einem Kamerasystem geprüft, schadhafte Ware per Luftdruck aussortiert.
Mühlsteine gibt es nicht mehr
Erst dann geht es in die eigentliche Mühle, die sich über fünf Stockwerke erstreckt. Dort wird das Korn, nicht mehr zwischen Mühlsteinen, sondern zwischen Stahlwalzen zermahlen und ausgesiebt. Nach 16 Mahlvorgängen ist das Mehl von der Schale völlig getrennt. Der Keimling wird zu Öl verarbeitet, der Rest ist Futtermittel oder Nahrungsergänzung.
Das gemahlene Korn mischen die Müller für verschiedene Zwecke. An ein Pizzamehl werden andere Anforderungen gestellt als an das für Brötchen, die möglichst aufgehen sollen, oder für Brot, bei dem Feuchtigkeit für lange Frische sorgt. Unterschieden wird auch nach der Stärke: feinstes Mehl, gröberer Dunst und Grieß.
Verschlossene Türen, verplombte Lkws
Über allem steht eine Qualitätskontrolle – gleich sechs Mal. Die Mühle unterliegt der „Food Defense“, einer hohen Sicherheitsstufe. Zum Beispiel müssen alle Türen stets verschlossen sein, die Lastwagen verlassen verplombt die Maininsel.
Proben des angelieferten Getreides und des Mehls werden ein Jahr lang aufgehoben, so dass Reklamationen bis zum anliefernden Bauern zurückzuverfolgen sind. Das sei bislang jedoch noch nie notwendig gewesen, betont Cramer. Als Großlieferant wird die Mühle nicht lokal, sondern von der Lebensmittelkontrollbehörde in Nürnberg überwacht.
„Es gehört viel Ehrgeiz dazu, eine Mühle zu betreiben“, sagt Cramer. Die zunehmende Reglementierung durch den Staat schaffe Kosten, die über den Preis nicht wieder hereinkommen. „Die Arbeit ist eine tägliche Herausforderung, damit alles läuft“, sagt Cramer und fühlt sich sichtlich wohl in seiner Rolle.
„Es gehört viel Ehrgeiz dazu, eine Mühle zu betreiben. Das ist eine tägliche Herausforderung.“
Philipp Cramer, Mühlenbetreiber in der siebten Generation