„Lache, wenn es nicht zum Weinen langt“: Der Songtext von Herbert Grönemeyer kommt dem Reporter, selbst mal Zivi im Seniorenheim, in den Sinn, beim Kabarettabend in der überraschend vollen Disharmonie. „Dein Schiff schon ohne Ratten. Der Kapitän bereits über Bord. Du bist von aller Welt verlassen. Leckgeschlagen auf hoher See.“ Das Thema von „Volle Pflegekraft voraus“ hat schon ein etwas herbes Odeur, für einen Kassenknüller: Sybille Bullatschek geht es um die „Pfläge“, im Altenheim „Haus Sonnenuntergang“, im sterbensschönen schwäbischen Idyll von Pfleidelsheim.
Zu hören gibt es keine Schenkelklopfer rund um Katheder, Windeln oder sonstige Einlagen, sondern warmherziges, auch mal tragischkomisches Typenkabarett mit Alltagsgeschichten und ebenso sozialer wie humaner Grundbotschaft.
In einer Zeit, in der man besser jung, schön, gesund und schnell (erfolg-)reich sein sollte, gilt weder der Beruf der Pflegekraft noch das Dasein als Heimbewohner als hipp und erstrebenswert. Dabei steigt der Bedarf. Viele der Besucher stammen selbst aus den Pflegeberufen, stellt die anheimelnd dralle Schwester mit Pudel-Frisur fest. Ledig ist sie, die gute Seele vom „Sonnenuntergang“, wie viele ihrer Schützlinge ein einsames Herz: „Liebe Hartmut Engler und bin ein großer Fan von Pur“ hat die sanfte Stalkerin auf das Dach ihres Fiat gemalt und kreuzt damit neben dem Tourenbus auf. Der Stau hinter ihr und plötzlicher Regen machen den Flirt zunichte: „Liebe Hart und Pur“, plus Telefonnummer, liest sich halt missverständlich für die Kuschelpopband aus Bietigheim.
Auch im Altenheim geht es ab: Hier stehen sich Nordcorega und Südcorega ebenso unversöhnlich gegenüber wie „Bandidos“ im Clinch mit den „Rollator Angels“. Spätestens wenn es im Fernsehraum um Fußball contra Carmen Nebel geht und zwei Fernbedienungen kursieren. Der böse Herr Seifert bombardiert singende Kinder mit der Schnabeltasse, ein Veteran arbeitet für die Kleinsten beim Kasperltheater deutsche Militärgeschichte auf: „Das Kaschperle muss jetzt an die Front.“ Dort fällt es, ebenso wie der Puppenspieler.
Ein Hamster erleidet einen Hörsturz ob der Schnarcherei seiner Mitbewohnerin und darf zuletzt im Einzelzimmer im Rädchen rotieren. Nebenbei wird Englisch gepaukt – so lange, bis der Teacher auf der Sprachlernkassette Schwäbisch zurückschwätzt. Außerdem darf gemeinsam gesungen werden, beim betreuten Kabarett am Main: Zur zweiten Hälfte erschallt „Hoch auf dem gelben Wagen.“ Den vielleicht schönsten Geniestreich liefert Sybille Bullatschek zum Finale: Das Märchen von Hans und Grete, zwei Alten, die von der bösen Schwiegertochter im undurchdringlichen Gewirr von Ikea ausgesetzt werden. Hier mit Happy End.
Das größte Kompliment für zwei Stunden gepflegte Unterhaltung gibt es nach dem Schlussapplaus: Selbst gestandene Kabarettbesucher halten es für möglich, dass „Sybille Bullatschek“ wirklich in der Altenpflege arbeitet. Stimmt nicht ganz: Hinter der herzhaft dampfplaudernden Schwester verbirgt sich Standup Comedian und Künstler-Coach Ramona Schukraft, eine Dialekt-Virtuosin aus Bergisch Gladbach, mit Wertheimer Wurzeln. Eine gelernte Werbetexterin, mit einer manchmal etwas in Watte gepamperten, aber sympathischen PR-Mission: „Tragt die frohe Botschaft der Pfläge in die Welt.“