Fallobst ist das nicht, was da auf der Bühne steht und von Jessi Heinen in den höchsten Tönen gepriesen wird. Keine „gut genährten“, rundum tätowierten Briten, die sich als Kirmesboxer ihr Gnadenbrot verdienen. Die Jungs hier sind trainiert, „gut definiert“, wie das im Fachjargon heißt. Sie sind die Helden eines traditionsreichen Rummel-Spektakels, das hierzulande vom Aussterben bedroht ist. Boxbuden gibt's nicht mehr. Bis auf eine. Die von Johann „Jessi“ Heinen – in dieser Woche eines der Highlights auf dem Schweinfurter Volksfest.
Schweinfurt ist ein gutes Pflaster. Hier gibt es die Amis, mit ihrem ungeheuren Selbstvertrauen, die gerne mal ein blaues Auge riskieren, um 500 Euro „zu schnappen“. Und es gibt die Russlanddeutschen, große, kräftige Kerle, mit einem Faible für den Boxsport. Potenzielle Herausforderer für „John aus Liverpool“ oder „Siggi aus Schweinitz“, wie Heinens Kämpfer angekündigt werden. Vor den Amerikanern hat der Boxbuden-Chef in vierter Generation (der Urgroßvater hat den Schausteller-Betrieb 1946 gleich nach dem Krieg in Düsseldorf gegründet) durchaus Respekt: „Da hatten wir hier schon gute Leute im Ring.“ Und die „Russen“? „Ham nix drauf“, sagt Jessi Heinen, grinst, hofft dass das gelesen wird und reichlich Herausforderer aufs Volksfest kommen.
„Challenger“ gibt es am Tag etwa 50; junge Kerle, die es auf die schnelle Kohle abgesehen haben, auf „Kopfprämien“, wie das hier heißt, von 100 Euro aufwärts für den Knock out. Am Sonntag hat es ein US-Soldat auch tatsächlich geschafft, John aus Liverpool niedergestreckt und 250 Euro eingesteckt. „Das war meiner Meinung nach ein Lucky Punch“, relativiert der Budenchef; ein Rematch wollte er in dieser Konstellation dennoch nicht zulassen. Er setzte Schwergewichtler „Siggi aus Schweinitz“ auf den Amerikaner an. Nach zwei Runden war die Sache „gegessen“, die Nase des Herausforderers blutig.
Siggi aus Schweinitz heißt eigentlich Lukasz Zygmunt. Ein Pole, 30-jähriger Profiboxer mit bislang acht Fights und einer ausgeglichenen Kampfstatistik, Teilnehmer an der bekannten Schwergewichts-Serie „Bigger's Better“ bei Eurosport. Am 25. Mai stand der gegen den Litauer Janis Ginters im so genannten „Prestige Fight“ bei Bigger's Better im Ring, hat den „weggehauen“. Jetzt steht er auf den Stufen zur Boxbude vor rund 200 Schaulustigen auf dem Schweinfurter Volksfest und wartet darauf, dass er gefordert wird. 500 Euro hat Jessi Heinen auf ihn ausgesetzt – Rekordprämie. Doch die muss er sowieso nicht zahlen.
Denn Zygmunt ist nicht nur stark, sondern auch „ausgebufft“. Und das „musst du sein, wenn du in der Boxbude bestehen willst“, sagt Heinen. Die Gegner kommen von der Straße, sind „angestochen“, müssen allerdings nüchtern und mindestens 18 Jahre alt sein. Viele haben boxerische Erfahrungen, in Schweinfurt weniger als in der rheinischen Heimat. „Da machen sich die Boxclubs einen Sport daraus, meine Jungs zu fordern; die trainieren das ganze Jahr auf diesen Moment“, weiß Heinen. Wer sich im Ring zivil gibt, bekommt ein paar Geraden auf die Deckung und fertig. Wer prügelt, bettelt quasi um Wirkungstreffer.
Für Lukasz Zygmunt sind die Herausforderer Sparringspartner. Er steht morgens auf, joggt seine zehn Kilometer auf der Heeresstraße. Zwei Stunden trainiert er, wenn möglich mit den Kollegen. Und dann wird ja auch noch gekämpft, meist nur kurze Runden von zweimal einer Minute, eine lockere Sache. Der Pole wird vielleicht schon auf der nächsten Station der Boxbude – dem Würzburger „Kiliani“ – nicht mehr dabei sein. Er ist Profi, sein Geld verdient er mit „richtigen Gegnern“. Jessi Heinen wird einen anderen Kämpfer präsentieren. Und wenn es nach ihm geht nächstes Jahr wieder nach Schweinfurt kommen: „Das ist ein super Platz für uns.“