Abschied? Nichts in Reinhold Stahls Büro im ersten Stock des lichtdurchfluteten Rathauses sieht danach aus. Alle Bilder hängen noch an der Wand. Die Unterlagen ruhen fein säuberlich gestapelt auf einem Sideboard. Auf dem Bildschirm blinkt das E-Mail-Programm. Arbeitsalltag für den Bürgermeister von Poppenhausen. Dennoch: In wenigen Tagen wird Stahl seine persönlichen Sachen zusammenpacken. Nach 18 Jahren tritt er ab. „Man muss loslassen können“, sagt er lächelnd. Einen kurzen Moment überlegt er: „Ich versuche es zumindest.“
Der 65-Jährige geht mit ruhigem Gewissen, wie er sagt: „Ich war gern Bürgermeister.“ In einem der ersten Sätze über seine politische Bilanz fällt das Wort „Fraktionen“. Dass es sie im Poppenhäuser Gemeinderat nicht gibt, bewertet Stahl als großen Vorteil. Er habe Wert darauf gelegt, dass über alle politischen Grenzen hinweg entschieden wird: „Das macht die Arbeit deutlich leichter.“ Es bedeutet aber nicht gleichzeitig, allen nach dem Mund zu reden. Stahl kann seinen Standpunkt besonnen, aber entschlossen vertreten, auch wenn es stürmisch wird. Etwa als in einer Versammlung in Pfersdorf seine Rolle bei einer geplanten (aber gescheiterten) Inbetriebnahme eines Steinbruchs kritisch hinterfragt wird.
Stürmisch hat auch Stahls Amtszeit 1996 begonnen. Eine Woche nach Amtsantritt steht der große Erörterungstermin für den Bau der Autobahn 71 an, die das Poppenhäuser Gemeindegebiet durchschneidet. Kein leichter Gang für den frischgebackenen Bürgermeister, wie Stahl heute zugibt. Es ist die Hochphase des Pro und Contra; auch in Poppenhausen ist der Protest lautstark. „Als ich mich für die A 71 ausgesprochen habe, habe ich Freunde verloren.“
Als es offensichtlich ist, dass Poppenhausen den Bau der Magistrale nicht verhindern kann, schlägt Stahl – und die Gemeinde mit ihm – einen pragmatischen Kurs ein: „Eine Klage erschien uns aussichtslos.“ Nachteile möglichst minimieren und Vorteile aus dem Projekt ziehen, lautet die Strategie. Den verbesserten Lärmschutz zählt Stahl ebenso zur Erfolgsbilanz wie die Umgehungsstraße von Maibach, die in das Projekt des Bundes einbezogen wird und die Poppenhausen somit zum Nulltarif bekommt.
Positive Folgen sind für Stahl auch die Dorferneuerungen in Pfersdorf und Hain sowie die Flurbereinigungen. Heute ist die Autobahn, auf der seit Jahren der Verkehr rollt, kein Thema mehr, die Gemeinde wieder befriedet. Auch darauf ist Stahl stolz. Die härteste Entscheidung in Stahls Amtszeit mutet heute etwas skurril an: Es ist der Bau eines Verkehrskreisels in Kronungen, dem ersten im Landkreis. Mit der Bürgermeisterstimme boxt Stahl das Projekt zur Verkehrsberuhigung im Rat durch. Neun zu acht geht die Abstimmung aus.
Dass die 4200-Einwohner-Gemeinde schuldenfrei ist, ist das politische Credo Stahls, das den Bürgermeister über 18 Jahre begleitet. Auch wenn Kritiker sagen, eine Kommune wie Poppenhausen könne durchaus Schulden vertragen. Dennoch hat die Gemeinde zuletzt die umfangreiche Sanierung der Schule oder vor vielen Jahren den Bau von Retentionsfilterbecken für die Kläranlage gestemmt: Fünf Millionen Mark hat er damals als Beiträge von den Bürgern eingefordert. „Eine unangenehme Aufgabe“, wie Stahl zugibt.
Er verweist auf die Baugebiete, die in fast allen Teilen der Gemeinde entstanden sind. Auf 190 Parzellen stehen nun Eigenheime. Dies habe dazubeigetragen, dass Poppenhausen den Einwohnerstand leicht hat steigern können. Und der Gemeindekasse hat dies angesichts der Einkommensteueranteile ebenfalls gut getan, wie Stahl lächelnd anmerkt. Deswegen lässt er auch die Notiz gelten, dass andere Gemeinden beim Thema Innenentwicklung durchaus weiter sind als Poppenhausen. Dies wird nun die Angelegenheit seines Nachfolgers Ludwig Nätscher. Ebenso wie die Sanierung der in die Jahre gekommenen Werntalhalle.
„Ich freue mich darauf, Verantwortung abzugeben, nicht mehr den Druck zu haben“, blickt Reinhold Stahl nach vorne. Für seinen Ruhestand hat er schon die Infrastruktur aufgebaut: „Ich habe mir vor zwei Jahren wieder einen Traktor gekauft.“ Zum Holz machen für die Kinder. Damit rückt der Landwirtschaftsmeister ein bisschen seinen Wurzeln näher. Während seiner Amtszeit hat er seinen Betrieb, der ehedem 70 Hektar umfasst hat, schrittweise aufgegeben. Erst die Viehhaltung, dann die Pachtflächen und zum Schluss die Bewirtschaftung der eigenen Äcker. Für einen Bauern ein emotional schwieriger Entschluss.
Für das Loslassen vom Amt hat Stahl im Detail noch kein Konzept. Vollständig in den politischen Ruhestand geht er ohnehin nicht: Für die CSU sitzt er weiterhin im Kreistag, als Vorsitzender leitet er die Geschicke der Rhön-Maintal-Gruppe. Ein Totalverzicht, so ist Stahl einzuschätzen, täte ihm wahrscheinlich nicht gut. „Das Amt hat mir viel gegeben“, sinniert Stahl. „Es war mir nie eine Last.“ Wenn er nochmals die Wahl hätte? „Ich würde es wieder übernehmen.“