Mit dem Kurator der laufenden Jubiläumsausstellung „Carl Spitzweg und Wilhelm Busch“ und langjährigen wissenschaftlichen Berater der Sammlung Georg Schäfer war ein überfüllter Vortragssaal im MGS garantiert. Hier genossen die Zuhörer Jensens Dia-Vortrag, zusätzlich auch seinen sparsam dosierten, hanseatischen Humor.
Jensen weist gleich auf die Schwierigkeit hin, Spitzwegs Bilder immer genau zu datieren: Oft habe der Maler das gleiche Thema variiert, daneben gäbe es Überarbeitungen, zweifelhafte Werke und natürlich Nachahmungen oder Zuschreibungen. Die Frage: „Ist das nun von ihm?“ habe schon in mancher Kunsthalle für Verwirrungen gesorgt.
Mensch und Natur
Jensen beginnt mit dem Themenkomplex „Konfrontation des Menschen mit der Natur“. Schon beim „Naturforscher in den Tropen“ könne man das Prinzip Spitzwegs erkennen, seinen Figuren, Darstellern, eine Bühne zu schaffen, die nach beiden Seiten abgeschlossen ist. So könne der Maler den Blick des Betrachters auf die Eigenart der Figur im gut ausgeleuchteten Mittelpunkt richten – wie ein Regisseur.
Der „Naturforscher“ oder der „Sonntagsjäger“ zeigten das etwas dümmliche „Spitzweg-Staunen“ über eine ausweglose Situation in der ungewohnten Natur. So löse die Begegnung mit dem Reh bei dem Stadtmenschen Überraschung aus. Auch der „Geologe“ und der „Mineraloge“ zeigten das Erstaunen eines Wissenschaftlers über eine von ihm nicht für möglich gehaltene Eigenart der Natur. Dieses Bildthema sei scheinbar gut verkauft worden, deshalb habe es Spitzweg „gnadenlos“ wiederholt, so Jensen. Außerdem: Mit jedem Verkauf habe Spitzweg seine Existenz als Maler bestätigt bekommen, die Anerkennung des Publikums habe ihm gut getan.
Jensen beschreibt in jedem Bild auch den Aufbau, die farbliche Komposition, die Blickführung und die Pointe. So in „Eremit, Hühnchen bratend“, das den Maler als Detailspezialisten ausweise. Die Naturkulisse sei aus einem Guss, biete mit ihren Accessoires wie Strümpfe, Kreuze, Weinflasche, Kochtopf, Hühnchen dem Einsiedler ein inhaltliches und malerisches Äquivalent. Fragen täten sich auf: Blaue Strümpfe, zwei Hühnchen, was verbirgt sich in der Höhle? Sei der fromme Mann gar ein Heuchler, ein sinnlicher Genießer? Das „Schatten-Teufelchen“ lasse daran denken. Der Vorplatz zur Höhle liege so im Licht, als wäre ein Scheinwerfer links oben montiert und leuchte die Bühne aus.
Im „Hexenmeister“ beschreibt der Kurator die Raumaufteilung in eine untere Hauptbühne mit dem Zauberer und eine Nebenbühne mit dem Drachen, der ein bisschen aussehe wie ein gerupftes Huhn. Spitzweg profaniere hier romantische Vorstellungen von Drachen und Helden oder machtvollen Magiern. Man könne das Bild auch als Wagner-Parodie bezeichnen.
Im „Der ewige Hochzeiter“ geht mitten in einer alten Stadt ein Liebesantrag über die Bühne. Gibt es hierfür keinen verschwiegeneren Ort? Spitzweg zeige die beschützende Funktion der Stadt, aber auch das Fehlen einer persönlichen Sphäre durch die Überwachung eines jeden durch jeden. In „Rosenduft-Erinnerung“ schnuppert ein Kaplan an einem Rosenstock, ein im Hintergrund sich küssendes Paar bleibt ihm nicht verborgen. Dies sei nicht wirklich komisch, sondern durchweht von Melancholie, ähnlich wie im „Hagestolz“ oder im „Hypochonder“: Graue Einsamkeit und Entsagung inmitten einer lebensbunten Umgebung. Hier spiegele sich wohl auch manch eigene Empfindung des Malers.
Hintergründige Bilderwelt
So lässt Jensen die Bilderwelt Spitzwegs Revue passieren, die sich bei genauerem Hinsehen als weit hintergründiger und kritischer entpuppt, als sich dies beim ersten Betrachten vermuten lässt. So auch im „Türkischen Bazar“ nach Spitzwegs Besuch der Londoner Weltausstellung 1851 oder im variationsreichen „Dirndl-Thema“. Dessen strahlende Mädchenfigur in Gelb-Blau-Rot sei wohl das Frauenideal des Künstlers gewesen. Sie wird im Gebirgstal vorgestellt, begegnet uns mit dem Jäger wieder. Spitzweg könne von dem Thema nicht lassen, so Jensen, denn diese anmutige Mädchengestalt erscheine sogar als kleiner Punkt in seinen späteren Landschaften.
Schließlich legt Jensen seinem Publikum auch den „Abgefangenen Liebesbrief“ ans Herz. Hier könnten wir als Betrachter – im Gegensatz zu den Darstellern – die gesamte Szene überblicken. Der Student startet mit dem Brief einen Versuchsballon, die ältliche Tante sieht nicht, woher er kommt. Sie erschrickt, verdrängte Sehnsüchte werden vielleicht in ihr wach. Die Angebetene selbst nimmt von alldem nichts wahr, sie näht an ihrer Aussteuer. Hier schmeichle Spitzweg den Betrachtern: Wir können alles sehen und verstehen – können vielleicht etwas gönnerhaft schmunzeln über den Unverstand der Welt.