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SCHONUNGEN: Claudia Roth: Raus aufs Land

SCHONUNGEN

Claudia Roth: Raus aufs Land

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    Diskussion in Hausen mit Claudia Roth und Holger Laschka.
    Diskussion in Hausen mit Claudia Roth und Holger Laschka. Foto: Hannes Helferich

    Kein Defiliermarsch, kein Tamtam. Claudia Roth marschiert einfach rein in den Saal der Brauerei Martin in Hausen, winkt den erwartungsvoll wartenden rund 50 Zuhörern zu, umarmt eine Bekannte und setzt sich neben Moderator Holger Laschka. Gleichwohl: Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages ist beim Biergartengespräch der Stargast. Zum Thema „Leben auf dem Land, Zukunft des ländlichen Raumes“ haben die Schweinfurter Grünen sechs weitere Gäste eingeladen, allesamt Spezialisten in ihrem Fach. Drei davon von der SPD, ein Neutraler. Eine „überfraktionelle Runde“, nennt der Schweinfurter Laschka, Pressesprecher der Landtags-Grünen in München, das Format. Weil's am Sonntagabend schon recht frisch ist, wird die Talkrunde kurzfristig in den Saal verlegt.

    Wenn die Infrastruktur stimmt, entscheiden sich junge Familien fürs Land

    Roth nennt sich selbst, geboren in einer 4000-Seelengemeinde, ein „typisches Exemplar des ländlichen Raums“, der vielerorts „funktioniert“. Aber wegen der Abwanderung in die Städte Kummer macht. Die jungen Leute verließen ihre Orte zum Studium, „sie kommen aber nicht mehr zurück, und das müssen wir umdrehen“, sagt Roth. Da bekommt sie zum ersten Mal Beifall.

    Grundbedingung, dass aus der Land- eine Stadtflucht werde, sei eine intakte Infrastruktur, seien genügend Kindergartenplätze, die Erreichbarkeit und die Existenz eines Bäckers und Metzgers vor Ort. Beim Besuch von Gochsheim zuvor, obwohl stadtnah, habe die Bürgermeisterin ihr Fehlen bedauert. Roth weiß, dass junge Familie wieder das Land bevorzugten, weil die Luft vieler Städte gesundheitsgefährdend und die Mieten wie in München nicht mehr bezahlbar seien.

    Bürgermeister Peter Pfister (SPD) pflichtet der grünen Frontfrau bei, berichtet von Leerständen nicht nur in seiner Gemeinde Waigolshausen. Das zu ändern hänge auch von ortsnahen Arbeitsplätzen und einem funktionierenden ÖPNV ab. Das Landkreis-Projekt Ruf-Bus sei gescheitert, „weil es schwer ist, vom Auto wieder zum ÖPNV zurückzukehren“, sagt Pfister.

    Jeder hat ein Recht auf Mobilität

    50 Prozent der Menschen haben kein Auto, ergänzt Roth, für die das Thema Mobilität „eine Kernfrage ist“. Sie fordert eine „Mobilitätsgarantie für alle“, ein leerer Bus dürfe nicht „das Ausschlaggebende sein“, sagt sie und bedauert, dass der „Verkehrsminister“ beim ÖPNV „bisher nichts gemacht hat“. Dobrindts Name nennt sie bewusst nicht.

    Der frühere Schulamtsleiter Jürgen Eusemann (SPD Schweinfurt) weiß um das Problem, weist mit einem positiven Beispiel daraufhin, dass es zu lösen ist: „Die Beförderung der Schulkinder gelingt“, wenn auch mit einem „Riesenaufwand“. Die Provokation Laschkas, dass der Wohnort über den Schulabschluss entscheidet, lächelt Eusemann mit dem Hinweis weg, dass die Übertrittsquoten ans Gymnasium bei uns denen in ganz Bayern entsprächen.

    Thema Lehrermangel. Den gebe es nicht jetzt zum Schulanfang. Aber ab Dezember seien die Mobilen Reserven im Dauereinsatz, mutmaßt Eusemann. Der Grund für zu wenig Lehrer sei, dass Langzeitkranke und die Möglichkeit, dass Lehrerinnen schwanger werden, „nicht bedacht wurden“. Die nötige Förderung schwächerer Kinder falle weg, mehr Übergangsklassen für Flüchtlinge scheiterten am Personalmangel.

    Den Lehrermangel behebt eine flexible Lehrerausbildung

    An den finanziellen Mitteln fehle es nicht. Sein Vorschlag: Eine von Anfang an flexible Lehrerausbildung, kleinere Schulen erhalten mit Unterricht in Jahrgangsübergreifenden Klassen. Barbara Pfeuffer, Grüne Direktkandidatin, hat die Forderung, „alle Lehrer in allen Schularten in gleicher Weise auszubilden“ in ihrem Programm. Bürgermeister Pfister weist daraufhin, dass die drei Ortsteile seiner Gemeinde zwei Schulverbänden angehörten. Dem Zusammenwachsen der Dörfer sei das nicht dienlich. Allgemeines Kopfnicken.

    Einig sind sich Eusemann und Roth, dass in Sachen Digitalisierung in den Schulen „massiv aufgerüstet werden muss“. Nicht nur in den Schulen, merkt Laschka an, der den Veranstaltungsort als „digitale Diaspora“ ausgemacht hat. Der nicht vorhandene Handy-Empfang habe auch einen Vorteil: Man kann aus dem Biergarten „nicht nach Hause gerufen werden“. Da lacht der Saal.

    Der Gochsheimer Allgemeinarzt Lothar Schmid und Mitakteur der Mainbogen-Praxis Sennfeld sieht die Ärztezentren gegenüber der bisherigen Einzelpraxis vorteilhafter: Bessere Versorgung, bessere Weiterbildungsmöglichkeit, Hausbesuche leichter zu organisieren. Und: „Junge Ärztekollegen bevorzugen große Einheiten“. Der Haken: Es interessieren sich zu wenige für die Allgemeinmedizin. Sein Lösungsvorschlag: „Wir brauchen 1000 Studienplätze mehr.“

    Asylkreis kritiisiert die unnötigen bürokratischen Hürden

    Dann Rainer Patzke vom Asylkreis Dittelbrunn. Das SPD-Mitglied kritisierte an einigen Beispielen den Bürokratismus, der den rund 30 Aktiven im Asylkreis das Helferleben schwer macht und noch viel mehr die Asylbewerber belastetet. Ein anerkannter Flüchtling lernt bei einem Metzger, der ihm auch eine Wohnung angeboten hat. Seit Monaten könne der junge Mann dort aber wegen bürokratischer Hürden nicht einziehen.

    Roth forderte an dieser Stelle das absolute Einhalten der Regel 3 plus 2 (nach der Ausbildung zwei Jahre Anstellung) und zeigte kein Verständnis für Abschiebungen nach Afghanistan. „Dorthin kannst Du nicht abschieben“, sagte sie und wies auf eine Mut machende Umfrage in Bayern hin: 37 Prozent nannten Flüchtlinge zwar eine Belastung, aber ebensoviele eine Bereicherung.

    Flächenfraß muss aufhören

    Zum Finale der Ökolandwirt und langjährige Ex-Vorsitzende des Naturlandverbands, Paul Knoblach, zum Thema Flächenfraß. Der Kreisrat aus Garstadt erinnerte an den Slogan „Das Land ernährt die Stadt“. Er geißelte das „Land Grabbing“, die Aneignung von landwirtschaftlichen Flächen durch wirtschaftliche Akteure. Als Beispiel nannte er den drohenden Verlust von Ackerland in Stadtlauringen für eine Industriefläche in Bamberg. „Wir warten nicht auf den Klimawandel, wir betonieren alles zu“, sagt Knoblach. Beifall gibt es dafür.

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