Schon vor dem Konzert der umstrittenen Hamburger Politpunkband Slime im Schweinfurter Stattbahnhof gibt es große Aufregung. Es geht um die beiden Songs „Bullenschweine“ und „Polizei SA SS“, die von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien im Mai dieses Jahres aufs Neue zensiert wurden.
Im Vorfeld gibt es eine Besprechung von Polizei, Stadtverwaltung und Stattbahnhof-Betreibern und die Band muss versprechen, diese beiden Songs nicht zu spielen. Sonst hätte das Konzert nicht stattfinden dürfen. Wenige Stunden vor dem Konzert müssen Slime ihre Setlist vorlegen und eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Nach all dem Trubel geht es mit einer halben Stunde Verspätung los. Die hervorragende Schweinfurter Hardcore-Band Deathjocks kann eine halbe Stunde Werbung in eigener Sache machen, bevor Slime das Ruder übernehmen. Brav hält sich die Band an das Verbot, wohl auch aus Angst vor einer saftigen Geldstrafe. Zum Glück haben die Hamburger viele alte Hits auf Lager, deshalb werden die zensierten Songs nicht großartig vermisst. „Linke Spießer“, „Störtebecker“ oder „Deutschland muss sterben“ versetzen das Publikum in Euphorie, obwohl die Band seit geschlagenen 18 Jahren keinen neuen Song veröffentlicht hat.
Mindestens drei Generationen Punkrocker bevölkern die Tanzfläche. Manche erkennbar gealtert mit ausgewaschenem T-Shirt und Wohlstandsbäuchlein, andere blutjung und mit Erlaubnis der Eltern beim ersten Konzert. Jede einzelne Strophe wird mitgesungen, es wird kräftig gerempelt und die Bierbecher in die Höhe gestreckt. Über eine Stunde lang bieten Slime einen D-Zug in die 80er, als Dosenbier noch die offizielle Währung in den Jugendzentren war und der Krieg zwischen Poppern und Punkern tobte.
Danach kommt Jello Biafra, die graue Eminenz. Einen Tag nach seinem 53. Geburtstag klettert der Sänger der legendären kalifornischen Politpunkband Dead Kennedys auf die Bühne. Mit seiner originalen Band im Streit geschieden hat sich der Politaktivist mit der „Guantanamo School Of Medicine“ eine neue Gruppe von Musikern zusammengestellt, die seine Performance vertont. Der Mann mit dem schütteren Haupthaar ist ständig in Bewegung, schneidet Grimassen, gestikuliert wild und erklärt zwischen den Songs ausführlich die Botschaft seiner Songs. Biafra wettert gegen amerikanische Militäreinsätze, den täglichen Rassismus in der Nachbarschaft oder die Privatisierung von Gefängnissen. Er stürmt die Bühne in einer Metzgerschürze, einem Hemd bedruckt mit Stars & Stripes und fuchtelt mit blutverschmierten Handschuhen herum. Kein Wunder, der Mann ist Mitglied der Green Party und bezeichnet sich selbst als demokratischer Anarchist.
Natürlich lässt sich der Paradiesvogel der amerikanischen Punkszene nicht lumpen und spielt auch ein paar Dead-Kennedys-Hits. Bei „California über alles“, Holiday in Cambodia“ oder „Too Drunk To Fuck“ tobt der Saal. Nach eineinhalb Stunden ist alles vorbei und die 400 Besucher verlassen den brechend voll besetzten Saal und gehen erschöpft und aufgeklärt nach Hause. Wolfram Hanke